Ein Lehrer als Symbolfigur gegen Rassismus: Im Interview spricht Mike Brennan über leugnende Polizisten, Solidarität im Web und einen langen Kampf.
Auf blaue Krücken gestützt steigt Mike Brennan aus dem Taxi, gebeugt und langsamen Schrittes legt er die paar Meter zur Cinethek „Oz“ im 7. Wiener Gemeindebezirk zurück. „Ich habe immer noch sehr starke Schmerzen“, sagt der Sportlehrer und versucht, in den gold-gepolsterten Fünfzigerjahre-Sesseln eine halbwegs bequeme Stellung zu finden.
Zehn Tage ist es her, dass er in der U-Bahn-Station Spittelau Opfer einer „Verwechslung“ wurde: Zwei Männer in Zivil stürzten sich an jenem Mittwochnachmittag auf ihn, als er auf dem Weg in die Schule umsteigen wollte. Mike B. dachte, er werde ausgeraubt.
Was dann folgte, ging vom Sonntag-KURIER aus um die Welt. Der Afroamerikaner, Lehrer an der Vienna International School, wurde geschlagen und verletzt, weil Drogenfahnder ihn offenbar für einen Dealer hielten.
Hat die Polizei sich mittlerweile bei Ihnen entschuldigt?
Niemand hat sich entschuldigt. Im Gegenteil. Im Polizeibericht wird alles geleugnet. Dort steht kein Wort über meine Verletzungen. Dort ist nur von einer Verwechslung die Rede. Als gäbe es meine Lendenwirbelprellung, meine Nacken- und Handgelenksverletzungen gar nicht. Oder als hätte ich sie mir selbst zugefügt.
Welches Bild geht immer wieder durch Ihren Kopf?
Die Türen der U-Bahn öffnen sich, ich trete auf den Bahnsteig und dann… –Mike bedeckt seinen Kopf mit beiden Händen.– Dann ist alles schwarz. Ich weiß nicht, wie ich je wieder U-Bahn fahren soll, ohne diese Angst und die Schmerzen im Hinterkopf.
Wissen Sie die Namen der beiden Polizisten?
Ich kenne einen der Namen. Dass die zwei Polizisten noch immer ihren Dienst versehen, ist ein weiterer Schlag ins Gesicht. Ich war viele Jahre lang Football-Spieler. Wenn du da einen vorsätzlich verletzt, bist du sofort und für lange Zeit gesperrt. Das sind die Regeln, ich weiß nicht, was die Regeln der österreichischen Polizei sind...
Welche Erinnerung haben Sie heute noch an das, was passiert ist?
Sehr dramatische. Denn ich wurde geschlagen, immer wieder. Die Männer gaben sich nicht zu erkennen. Ich dachte, die bringen mich jetzt um und habe laut geschrien. „Hör sofort auf zu schreien“, riefen sie. In diesem Moment fühlte ich mich am verwundetsten. Ich dachte, da tut dir jemand Gewalt an, und du sollst schön ruhig sein.
Ihre Freundin kam Ihnen dann zu Hilfe. Haben Sie das registriert?
Oh ja. Das werde ich nie vergessen, wie Birgit, ohne auch nur eine Sekunde zu zögern, den zweiten Mann versucht hat von mir wegzuziehen. Sie wurde selber weggestoßen und verletzte sich dabei. Sie tauchte auf wie ein Engel, der mich beschützt. Das war mutig. Ich bin ihr so dankbar.
Auch im Web macht eine Community von mehr als 2000 Usern Sie zur Symbolfigur gegen Rassismus. Sind Sie sich dieser Heldenrolle bewusst?
Ich ein Held? – Mike schüttet viel Zucker in seinen Grünen Tee. – Ja, ein verwundeter ...
Mit der Symbolfigur können Sie leben?
Ja. Ich habe keine Sekunde daran gedacht zu schweigen, mich in meine vier Wände zurückzuziehen und mich, vielleicht aus Scham, zu verstecken. Es ist nicht lustig, ein Opfer zu sein. Aber es ist ungeheuer wichtig und dramatisch, was passiert ist. Dass jetzt alle über meinen Fall sprechen, ist eine Gnade für viele, denen vielleicht Ähnliches widerfährt.
Hätten Sie auch diese Aufmerksamkeit, wenn Sie nicht Lehrer an einer renommierten Privatschule wären?
Ich hoffe! Denn mein Verständnis ist, dass mit keinem Menschen, egal, ob weiß oder schwarz, ob Lehrer oder Drogendealer, egal, aus welcher sozialen Schicht, so umgegangen werden darf. Das ist es jedenfalls, was mich meine Mutter gelehrt hat.
Verstehen Sie, dass viele Wiener ein falsches Bild von Schwarzen haben, weil sie tagtäglich in der U-Bahn mit Drogenhandel konfrontiert sind?
Ehrlich gesagt nicht. Denn nur weil einige Weiße kriminell sind, habe ich ja auch kein schlechtes Bild von weißen Menschen allgemein.
Wurden Sie denn auch schon für einen Dealer gehalten?
Mit dem heutigen Wissen muss ich sagen: wahrscheinlich ja. Denn manchmal kamen Typen auf mich zu und rissen ihre Augen so komisch auf. Ich dachte: Hey, what’s wrong with them?
Rassistische Übergriffe haben Sie bisher keine erlebt?
Nein. Ich habe natürlich vom Schicksal Omofumas gehört und von Übergriffen durch die Polizei. Aber ich hätte nie gedacht, dass ich selbst das Opfer solcher Übergriffe werden könnte.
Schon einmal von den „Negerwitzen“ des Kärntner Landeshauptmanns gehört?
Sowas gibt’s? Nein, davon habe ich Gott sei Dank noch nichts gehört. Und ich würde es auch bestimmt nicht lustig finden.
Haben Sie denn jetzt ein schlechtes Bild von der österreichischen Polizei?
Das ist eine schwere Frage. Ich unterrichte an der Vienna International School. Dort sind auch Schüler immer wieder mit Übergriffen in der U-Bahn konfrontiert und dort schützt die Polizei die Betroffenen. Also gibt es auch viele Polizisten, die einen guten Job machen.
Haben sich Ihre Eltern aus Amerika gemeldet?
Ja, sie sind geschockt, dass so etwas in Österreich passiert. Meine Mum will mich besuchen kommen. Aber sie weiß auch, dass ich stark bin, dass ich das durchstehe.
Wie lautet Ihre Philosophie dafür?
Die stammt von meiner Grandma – ich hab’ sie Little Lu Lu genannt: Die täglichen Herausforderungen sind wie ein Spiel. Du musst kämpfen, um sie zu meistern. Du musst das Beste geben, dann kommt das Beste zu dir zurück. Trotzdem misslingen dir immer wieder Dinge und du gehst zu Boden. Wichtig ist, dass du wieder aufstehst.
Mike, was wird in fünf Jahren sein?
Ich werde hoffentlich wieder normal gehen und angstfrei U-Bahn fahren können. Ich will einfach, dass am Ende die Gerechtigkeit siegt. Dass jene, die falsch gehandelt haben, vom Gericht auch zur Verantwortung gezogen werden. Aber ich weiß, dass es ein langer Kampf werden wird. Ein Kampf, den ich ganz bestimmt nicht wollte.
22. Februar 2009, erschienen im KURIER