"Ich bin längst kein Zumpferlzeichner mehr"
Manfred Deix († 25.6.2016)

zurück zur Übersicht

Im großen Interview zum Nationalfeiertag analysiert Österreich-Cartoonist Manfred Deix (61) den Zustand der Republik und kündigt ein Kinoprojekt an.

Eine verwunschene Villa in Klosterneuburg-Weidling, Domizil von 51 Katzen und ihren „Eltern“, Marietta und  Manfred Deix (kinderlos). Der Sekt ist kaltgestellt, der Fernseher auf tonlos gestellt. Aber Deix lässt bitten...
„Er macht’s immer so spannend“, stöhnt Marietta, Manfreds Lebenspartnerin seit 42 Jahren, während wir alle punkt 17 Uhr im – katzenfreien – Empfangszimmer, das wie ein Karikaturen-Museum aussieht, auf ihn warten.  Seit ein Tiger einem deutschen Kameramann in die Ausrüstung gepinkelt hat und dieser Schadenersatz gefordert hat, setzt er seine Lieblinge, mit einer Ausnahme, keinen Journalisten mehr aus.

„Burli“ und Tschicks
Nach einer Viertelstunde betritt  der Künstler – er ist gerade aufgestanden – in Jeanshemd und weißer Brille, mit seinem einäugigen Lieblingskater „Burli“ auf der Schulter und vier Packerln Smart in der Hand, die Bühne. Der Cartoonist hat uns sein neuestes Werk, einen altehrwürdigen Professor „mit Tutten und geschrumpftem Zumpferl“, mitgebracht. „Das ist  sieben, acht Jahre gelegen“, erklärt Deix und stellt das Bild mit dem Titel „Der Brustwuchs bereitet dem Professor große Sorgen“ neben sich ab. „Heute Nacht hab’ ich’s endlich fertig gezeichnet. Zum Nationalfeiertag.“ Er grinst übers ganze Gesicht, und wir sind schon mitten im Thema.

Herr Deix, werden Sie heute Abend der Ansprache des Bundespräsidenten lauschen?
Manfred Deix:  Ich fiebere diesem Ereignis schon dermaßen entgegen, dass ich mich mit Valium beruhigen muss. Wenn der Bundes-Heinz spricht, bin i immer sehr nervös. Die Österreicher ergehen sich ja an diesem Nationalfeiertag, indem sie mit Nordic Stöcken  durchs ganze Land rennen, ich versteh’s ja nicht. Und dann pilgern sie zu diesen schlammfarbenen Ungetümen am Heldenplatz, wo der stolze Vater seinen Gschrapp’n in einen Panzer oder Heeres-Hubschrauber hineinhebt, und die Mamsch schaut strahlend zu.

Ist der Aufmarsch der  Sozialdemokratie am Rathausplatz was für den „g’standenen Linken“ Manfred Deix?
Eher furchterregend und nicht mein Geschmack!  Ich war ja auch nie Mitglied einer Partei. Nicht einmal dem Beachboys-Fanclub  bin ich als größter Bewunderer aller Zeiten beigetreten oder, als Katzenkönig, der Tierrechtspartei. Ich bin nur Mitglied der Katholischen Kirche, unfreiwillig natürlich.

Warum nicht ausgetreten?
Aus einem einzigen Grund. Weil meine alte, mittlerweile schwerst demente Mutter immer gedroht hat, sie würde diese Schande nicht überleben.

Der ORF spielt am Nationalfeiertag „Wir sind Kaiser“. Sind Sie auch ein Fan?
Ich halte diese Sendung für nicht so geglückt, ich schwimme da gegen den Strom. Der hochtalentierte Palfrader ist zu gut für dieses Format, da kann er seine Talente nicht ausspielen. Bei „Wir sind Kaiser“ hab’ ich fast nie lachen können.

Kann Deix über seine Cartoons lachen?
Ich bin wahrscheinlich einer der wenigen, der manchmal Tränen lacht und  sich ohne Ende abhaut. Ich sitze ja eine ganze Nacht über so einem Bild. Natürlich kann ich nicht immer lachen, wenn zum Beispiel wie schon so oft eine Katze, neben mir auf einen dicken Polster gebettet, stirbt, dann ist es vorbei mit der Hetz. Aber demnächst gibt’s eh zwei Geburten, dann erhöht sich die Kinderanzahl wieder auf über 60.

Politisch gibt’s derzeit nicht viel zu lachen. Das neue Budget wird hart, vor allem für Raucher wie Sie.
Die sollen auf 100 Euro pro Packerl raufgehen, ich werde lachend einkaufen und niemals aufhören zu rauchen, obwohl ich’s ja täglich versuche. Deppert. – Manfred Deix zieht einen Inhalator aus seiner Brusttasche und demonstriert, was er bei Hustenanfällen macht. – Sehenden Auges renne ich ins Verderben.

Keine Angst vor Lungenkrebs?
Die hab’ ich. Aber ich bin halt ein Süchtler. Hab’ mich eh von 120 auf 80 Zigaretten pro Tag heruntergeschraubt. Auch den Alkohol hab’ ich früher mit allem Nachdruck bekämpft und gewonnen. Heute trinke ich wenig Rotwein, dafür etwas Sekt. Den trinken junge Mädchen zur Matura, also darf ich ihn auch trinken als junger Greis.

Sind Sie stolz, Österreicher zu sein?
Na! Ich hab’ die Seen nicht erfunden, ich hab’ die Berge nicht kreiert... Ich hab’ was gegen diese ewigen, abgelutschten Symbole. Ich habe in all den Jahren nie eine Mozartkugel gezeichnet oder einen Lipizzaner. Nur die sterbenden Lipizzaner. Die hatten Pferde-Aids und sind umg’fallen der Reihe nach. – Lacht. – Symbole interessieren mich nicht.

Auch nicht die rot-weiß-rote Fahne?
Deix schnappt sich die österreichische Fahne, legt sich aufs Sofa und deckt sich damit zu. Schau ich gut aus als toter Patriot? Kannst bitte an Rosenkranz holen, Marietta? Haben Tote den Mund offen? - Auch diese Fahne ist ja ein banales Statement. Einmal hab’ ich mich zum Nationalfeiertag hinter eine Österreich-Flagge gestellt. Nur meine Augen und ein Frankfurter Würstel haben hervorgeblitzt.

Ihre Österreich-Symbole sind schiache Menschen mit Glupschaugen und entblößten Geschlechtsteilen.
Die Deix-Figuren stehen mittlerweile als anerkannter Begriff im österreichischen Wörterbuch. Die hab ich gebrandmarkt, das ist meine Schöpfung. Kein Land in Europa hat einen Zeichner, der seine Landsleute so explizit und so zwanghaft dargestellt hat mit ihren gesellschaftlichen und politischen Neigungen. Das ist vielleicht mein kleines Verdienst. Ich bin längst kein Zumpferlzeichner mehr. Ich habe im Februar das letzte Zumpferl gezeichnet.

Haben Sie mit Ihrem Schaffen etwas zu Österreichs Identität beigetragen?
Ich glaube ja. Ich lebe gern in Österreich, das ist ein Land mit Schrullen und Merkwürdigkeiten. Ein Biotop, wo ich aus dem Vollen schöpfen kann. Ich bin gern innerhalb des Tellerrandes. Ich sehe sehr wohl, was die Welt alles zu bieten hat. Soll ich die Teaparty und den amerikanischen Präsidenten zeichnen? Ich illustriere das Fleisch und Blut, das ich am besten kenne. Hier bin ich kundig,  ich wühle gern in diesem kleinen Sandkasten.

Je daran gedacht, auszuwandern?
Mit 80 Katzen kannst du  nicht so leicht übersiedeln. Darum bin ich eine regionale Nummer geblieben, die sich mit den Menschen und der Politik dieses Landes auseinandersetzt wie das vielleicht kein anderer Zeichner vor mir getan hat.

Rot-grün in Wien zum Beispiel: Macht Sie das froh?
Bei den Grünen gibt’s viele linke Spießer, und Spießer sind mir immer unangenehm gewesen. Egal ob rechte oder linke. Eine Partei, die Maut einheben will, wenn man nach Wien reinfährt, die den Frauen am liebsten das Schminken verbieten möchte und uns begeisterten Sportrauchern die Zigaretten, ich bitte Sie!

Was soll Michael Häupl denn sonst machen?
Tun, was er für richtig hält. Er soll zum Beispiel weiterhin fleißig  Taschenbillard spielen, das gefällt mir gut.

Taschenbillard?
Er hat dauernd die Händ’ in der Tasch’n. Das muss sexuelle Gründe haben. Ich vermute in ihm einen sehr triebhaften Burschen, und deshalb ist er mir wieder sympathisch.

Wer ist Ihr Lieblingspolitiker?
Der is g’storben, politisch. Mein Liebling war der Gusenbauer, der war grandios, den vermisse ich. Dem Gusi verdanke ich viele lustige Stunden meines Arbeitslebens.

Faymann?
Eh nett. Nächste Frage.

Sepp Pröll.
Der hat einen göttlichen Doppel-Goder, aber was mir an ihm missfällt: Er ist Jäger. Der Bundespräsident hingegen gefällt mir, weil er so klein und eckig ist, und weil er immer seinen schwarz gekleideten Bodyguard Bruno Aigner hinter sich stehen hat. Lobenswert finde ich, dass Fischer im Zeugnis einen Dreier in Betragen hatte. Einsame Klasse für einen Bundespräsidenten. Schönborn hingegen ist ein Schrullo mit seinen Faschingsgewändern.

Sehr despektierlich, Herr Deix, so wie Sie Bischöfe ja meist schmusend zeichnen.
Ich bin ein Opfer meiner Phantasien, ich kann mich dagegen nicht wehren. Schon 1983 habe ich den Begriff „Küsserkönig“ kreiert. Der Klerus ist doch eine verschworene Küssergemeinschaft. Beten und schmusen – ora et schmusora. Wann’s nur dabei bliebe! Aber das Schmusen geht ja meistens körperlich südwärts bei den Buben, und dann wird’s heikel.

Ein Wort zu Helmut Elsner?
Sehr seltsam, dass die Frau Elsner jetzt als Freiheitskämpferin bejubelt wird, ein weiblicher Che Guevara, die so tut, als gälte es, einen Franz von Assisi zu retten. Dabei ist Elsner doch nur ein windschiefer Banker. Schon der Zilk hat gesagt, dass Elsner der unsympathischste, unangenehmste Mensch gewesen sei, den er in seinem langen Leben getroffen habe. 

Eines Ihrer Lieblingsthemen war immer Migration. Sind Sie nie bedroht worden?
Doch. Als ich zu den Mohammed-Karikaturen gesagt habe, wenn sich diese Leute dadurch beleidigt fühlen, dann leben sie im falschen Land, ist ein Mail an das  Karikaturenmuseum Krems gekommen. Herr Deix, haben die Islamisten mir empfohlen, geben Sie auf sich acht. Auch in Ihrer unmittelbaren Nähe wohnen Menschen, die Sie mit Ihrer Aussage beleidigt haben. Ich hab’s der Stapo übergeben.

Und: Waren Sie dann vorsichtiger?
Ich dachte mir: Bist du deppert. Seit Jahren zeichne ich gegen Ausländerfeindlichkeit an, und dann bedrohen mich die, die ich immer in Schutz genommen habe. Seither hat sich mein Gefühl für diese Leute verändert. Ich verstehe jetzt auch die Wiener, die stöhnen, weil an den Schulen ihre Kinder attackiert werden. Vor 15 Jahren hätte ich sowas nicht durchgehen lassen.

Trauen Sie sich heute noch, alles zu zeichnen, was Ihnen in den Sinn kommt?
Ja, schon. Aber ich würde mich hüten, Mohammed zu zeichnen. Das machen nur Selbstmörder. Provozieren tu ich die hochnervösen Muslime wirklich ned. Aber wir haben ja Nationalfeiertag.

Erinnern Sie sich an den 26. Oktober in Ihrer Kindheit?
Sehr genau. Wir wohnten in St.Pölten am Stadtrand, die Eisenbahn führte quer durch unsere Siedlung. Ich sehe noch immer prall gefüllte Waggons, einen endlosen Zug mit winkenden Russen, die abgezogen sind Richtung Heimat. Auch ich kleiner Burli stand am Bahnschranken und hab’ freundlich gewunken, so wie die Erwachsenen, die haben dazu „Geh schleicht’s eich, es Oaschlöcher“ gemurmelt.

Bei unserem letzten Interview haben Sie gesagt:  60 ist eine Schallmauer, ich glaube, ab  da wird’s echt fad. Jetzt sind Sie 61.
Fad ist es nicht geworden, aber bedrohlich. Ich kann mit dem Umstand, 60 geworden zu sein, sehr schwer umgehen. Das brennt in meinem Herzen und in meinen Gliedern. Mit tut das sehr weh, ich leide fürchterlich.

Mit 60 ist man heutzutage doch nicht alt.
Sagen Sie das meinem Schultergelenk! Das sagt mir: Ich bin achtzig! Die Lunge lebt überhaupt in Feindschaft mit mir. Die sagt mir täglich: Oida, du hast mir ein Leben lang geschadet, jetzt zeig’ ich dir, wo der Hammer hängt. Na ja.

Denken Sie manchmal, wie viel Zeit Ihnen noch bleibt, Herr Deix?
Daran denke ich jeden Tag. Es macht mich sehr traurig. Wenn ich das Alter meines Vaters erreiche, bin ich stolz. Der ist 68 geworden. – Bitte, Marietta, mach’ jetzt den Sekt auf!

Werden Sie da noch immer zeichnen?
Ich kann gar nicht anders. Man kann eine Leidenschaft nicht unterbinden. Ich bin ein Sucht- und Triebzeichner. Das Zeichnen ist für mich ein Überlebensmittel, wie für einen Sexualverbrecher der Sex. Ich zeichne sogar im Traum. Ich hab’ schon als Dreijähriger nix unbekritzelt gelassen. Die Mutter hat immer g’sagt: Hör auf! Ich hab’ trotzdem alles voll gezeichnet.

Woran arbeiten Sie im Moment?
Soll ich’s verraten, Marietta? Also gut: Es soll einen Kinofilm mit 90 Minuten geben, wo den Deix-Figuren zum ersten Mal Leben eingehaucht wird. Die Idee dazu hatte die Oscar-prämierte Aichholzer Film, ich schreibe das Buch. Die warten schon sehnsüchtig darauf, und ich schreibe und schreibe, weil ich Riesen-Respekt vor dem Projekt habe. Da lege ich mich an mit den Disney-Studios, die Qualität in diesem Genre ist unheimlich hoch. Die Geschichte muss echt gut sein. In Wahrheit geht mir total der Reiß.

Nationalfeiertag 2010, erschienen im KURIER