Der Dichter und Fußballfan Franzobel über den Zustand der Nationalelf, den Mythos Fußball für ein Land wie Österreich und warum er bei diesem Sport so gut meditieren kann.
Er kommt im grauen Businessanzug mit dem Fahrrad in die Bar des Hotels „Bristol“, und bestellt sich einen eisgekühlten Caipirinha. Mit einem goldenen Feuerzeug zündet er sich die erste Zigarette an diesem Abend an (und es sollen noch sehr viele folgen): „Ich bin ein Jetzt-erst-recht-Raucher. Nach einer Entwöhnung habe ich wieder angefangen, weil die Anfeindung durch die Nichtraucher so groß geworden ist.“ Reine Solidarität sei das, sagt Franzobel, 40, und saugt trotzig an seiner Gauloises.
Der Dichter trägt Ringe und einen roten Karat-Ohrring von seiner Großmutter. „Den hab’ ich, seit ich 12 bin, der gehört zu mir.“
Und dann spricht er über sein Lieblingsthema abseits der Literatur, den Fußball. Da vermischt sich Leidenschaft mit Sarkasmus, Fachwissen mit Poesie.
Wie spricht man Sie eigentlich an?
Nur Franzobel, ohne Herr. Ist ein Mix aus dem Vornamen meines Vaters, Franz, und dem Mädchennamen meiner Mutter, Zobl.
Wird Franzobel sich bei Österreichs Fußball-Nationalteam, das ja bekanntlich am Mittwoch die Elfenbeinküste 3:2 besiegt hat, entschuldigen?
Ein Satiriker braucht sich nicht zu entschuldigen. Das Sonderbare am Fußball ist ja, dass immer Überraschungen möglich sind, sogar die Färöer Inseln können gewinnen! Im Prinzip kann Österreich natürlich jederzeit jeden Gegner schlagen. Die Spieler sind nicht so schlecht, der Trainer ist auch nicht so schlecht. Aber Fußball ist immer eine Sache der Psyche.
Haben Sie jetzt wieder ein bisschen mehr Ehrfurcht vor unserer Nationalelf?
Naja, der „Sieg für den Trainer“ war ja ganz nett, aber tatsächlich sind wir natürlich immer noch krasser Außenseiter. Aber die Zeit der Hoffnungslosigkeit, – noch 230 Tage bis zur EM! – die wurde kurz unterbrochen.
In der ZEIT haben Sie unsere Kicker ja schwer beleidigt. Da würden „Scheintote spielen und wandelnde Leichen über das Spielfeld geistern“, das sei „Zuschauerfolter“, eine Fußball gewordene peinlich schlechte Musikantenstadl-Parodie.
Tatsache ist, dass Austria in der Weltrangliste unter den europäischen Ländern noch immer an 40. Stelle liegt – hinter Zypern und Albanien. Gerade einmal Andorra liegt noch weiter zurück.
Ich find’ das lustig. Aber ich glaube, es ist auch sehr österreichisch. In Österreich meint man nie das, was man sagt. Sowas bringt wenigstens ein bisschen Bewegung in die Fußball-Diskussion. Und es bringt gedanklich einiges in Gang.
Was denn?
Das Gefühl der Kleinheit, auf die wir immer wieder zurückgeworfen werden. Im Fußball lernen wir, bescheiden und demütig zu sein. Das ist eine ganz gute Lehre fürs Leben.
Wie kommt es, dass ein Dichter wie Sie sich so intensiv mit dem Thema Fußball beschäftigt?
Ich bin seit meiner Jugendzeit von Fußball geprägt. Fußball ist ein Nebenprodukt meiner Aufmerksamkeit. Ich schreibe seit einigen Jahren Fußballkolumnen, weil ich den Eindruck habe, dass sich Sport in den Medien immer mehr ausbreitet und Kultur immer mehr zurückgedrängt wird. Ich unterhöhle mit alltagsphilosophischen Glossen das System Sport.
Es heißt, Sie hätten noch nie ein Match versäumt?
Ich bin kein Stadiongeher, denn ich fürchte mich vor dieser unberechenbaren Masse.
Mehr ein Couch-Potato-Fan?
Ja, ich meditiere auch bei Fußball. Da sich ja nie was rührt, wenn die österreichische Mannschaft spielt, ist das so, wie wenn ich in die Waschmaschine hineinschau’ oder ins Backrohr – das Mittwoch-Match einmal ausgenommen. Und dann spielt viel Aberglaube mit. Hat man eine gewisse Sitzposition eingenommen, traut man sich nicht mehr aufs Klo, weil man glaubt, dann fällt ein Tor für die Gegner. Oder man macht einen Kopfstand, um das Spiel umzudrehen. Fußball schauen ist eine ganz heikle Sache.
Animieren Sie Fußballspiele zum Schreiben?
Ich schreib manchmal mit, was die Reporter so sagen.
Ist das Deutsch?
In Österreich nicht! Aber es ist literarisch hochinteressant, da tritt die Volksseele ungeschminkt zutage. Poesie lebt ja vom Fehler, vom Versprecher, vom Hoppala. Da passieren oft schöne syntaktische Unvorhersehbarkeiten.
Ihr Lieblingssportreporter?
Den Hans Huber hab’ ich sehr gern, weil der besonders emotional ist.
Spielt Franzobel auch selbst Fußball?
Sicher. Ich bin linker Außenverteidiger beim Team der kickenden Autoren, neulich haben wir die Slowakei mit 18:0 vom Platz gefegt! Vielleicht sollte Hickersberger ein paar Literaten in seine Nationalelf aufnehmen.
Was macht die Faszination Fußball aus?
Fußball ist vieles. Ein Nichts, eine Religion, Meditation, Kriegsersatz. Letzteres drückt sich in der Fußballsprache aus: Fans pilgern zum Match, ihre Gesänge ähneln Kirchenliedern, man spricht vom heiligen Rasen. Ursprünglich kommt Fußball ja von den Mayas, die haben mit Totenköpfen Fußball gespielt, und am Ende wurden nicht die Verlierer, sondern die Sieger den Göttern geopfert. Damals hätten die österreichischen Spieler die besten Überlebenschancen gehabt.
Aber heute?
Heute wäre es besser, Mücken zum Blutdoping zu dressieren, welche das frische Blut brasilianischer Spieler in die Adern lahmarschiger Austro-Fußballer spritzen sollten.
Im Ernst, was hat Österreichs Fußball für ein Problem?
Ich glaube, dass die 78er-Generation – Krankl & Co – ihre Pfründe dermaßen gut verteidigt hat, dass der Fußball damals steckengeblieben ist. Eine moderne Entwicklung wurde dadurch unmöglich gemacht.
Während die österreichische Literatur boomt, siecht der Fußball, haben Sie in der ZEIT geschrieben.
Das ist korrekt, aber trotzdem werden die Stadien weiterhin voll sein, die Spieler werden laufen, die Leute werden jubeln. Fußball ist wie Liebe. Eine übergroße Sehnsucht, ein ewiges Hoffen und Bangen. Das Prinzip der Liebe ist dem Fußball sehr verwandt, denn auch in der Liebe erfüllt sich vieles nicht, vielleicht sogar das meiste. Die Liebe setzt alle Logik außer Kraft. Die Liebe ist ein Schwindel, aber dennoch will man daran glauben.
Ihr neuester Roman handelt von der Liebe.
„Liebesgeschichte“ ist eigentlich ein trauriges Buch mit vielen sehr hochkomischen Stellen. Der Amoklauf eines ungeliebten Liebenden.
Sie kommen gerade von einer Lesereise aus der Schweiz zurück: Schreiben Sie schon an Ihrem nächsten Buch?
An meinem nächsten Buch schreibe ich seit vier Jahren.
Am Computer?
Nein, ich kann nur im Bett schreiben. Von der Seitenlage hat mein linker Ellbogen schon eine ganz rauhe Stelle, das ist der sogenannte Schriftsteller-Ellbogen. Oft schlafe ich dabei ein. Vor allem wenn ich nicht mehr weiter weiß. Nachher schreibe ich weiter auf meinen Block, mit einem violetten Stabilo Boss Fineliner. Ich mag die klerikale Farbe.
Erinnern Sie sich noch an den Moment, in dem Sie wussten, dass Sie Schriftsteller werden?
Sehr genau. Wir hatten in der HTL eine Exkursion ins nahe gelegene Chemiewerk, in dem auch mein Vater arbeitete. Beim Anblick der Arbeiter dachte ich mir: Alles, nur das nicht! Ich wusste genau: So könnte ich nie leben.
Hat Ihr Vater den Weg, den Sie gegangen sind, akzeptiert?
Oh ja. Mein Vater war Hobbymaler, wenn man so will in seinem Herzen ein Künstler. Und ich habe vielleicht einfach nur das gemacht, was viele Kinder machen: Die versteckten Sehnsüchte ihrer Eltern auszuleben.
21. Oktober 2007, erschienen im KURIER