„Meine Kinder nennen mich Mapa”
Prof. Ernst Fuchs († 9.11.2015)

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Sein Leben, ein einziges großes Abenteuer. 16 Kinder von sieben Frauen. Die Mütter sind davongerannt, der Vater ist geblieben, lächelt der Maler Ernst Fuchs, den seine Kinder zärtlich „Mapa“ nennen. Ein Papa mit Mama-Qualitäten. Und auch sonst ein ganz schön verrückter Kerl.

Herr Professor Fuchs, bei 16 Kindern erübrigt sich die Frage: Waren es Wunschkinder…
Da haben Sie recht. Meine Kinder haben sich so ergeben. Die Mütter auch. Richtig geplant war eigentlich nur der Elias, mein Zweitgeborener. Er ist mit 57 gestorben, und ich mit 76 lebe noch. Das ist schwer zu verkraften.
Der Elias hat immer geglaubt, es sei nur Asthma. Aber es war das Herz.

Was sagt Ihr Herz zum Tod Ihres Sohnes?
Ich bin fatalistisch. Wenn das Karma es so will, dann muss man abtreten… Elias war mein Archivar. Er hat Massen von Fotografien für mich gesammelt und jetzt fehlen mir sogar die Schlüssel zu den Kästen, in denen die Bilder drin sind!

„Phantastisches Leben“ ist der Titel Ihrer Memoiren: Welche Bilanz ziehen Sie als Vater?
Ich war nie in einer traditionellen Väterrolle. Ich war immer in einer Mutterrolle. Deswegen nennen mich die Kinder auch „Mapa“. Eine Mischung aus Papa und Mama. Die Mütter sind alle davongelaufen, der Vater ist geblieben.

Hat ein sechszehnfacher Vater immer jedes einzelne präsent?
Lacht. – Lange Zeit ist es mir gelungen, jedem Kind das Gefühl zu geben, es sei mein Lieblingskind. Das ist, seit ich in Monaco wohne und nur noch selten in Wien bin, immer schwieriger geworden. Darüber beklagen sich meine Kinder auch.

Schon mal alle um sich versammelt?
Ja, zum Siebziger im Pavillon des Schlosses Schönbrunn, da waren sie alle da. Der Jüngste war damals 5, der Älteste 57. Ein richtiger Clan sind wir, ein sizilianischer Pate ist ein Schmarrn gegen mich!

Wie viele Enkel?
Runzelt seine Stirn. – Da muss ich mich schon ganz schön anstrengen. Viele Kindeskinder hab ich beim Begräbnis von Elias das erste Mal gesehen. Da könnte uns der Emanuel, einer meiner Söhne, Auskunft geben, aber der wohnt auf einer Südsee-Insel, grauenvoll muss das sein, mitten im Meer, ich würd’ mich da nicht wohl fühlen!

An Ihre Frauen können Sie sich schon erinnern?
Oh ja. Obwohl ich mich gegen die Mütter meiner Kinder nie durchsetzen konnte. Ich hab halt mitgeholfen, so gut ich konnte, so gut man mich halt hat lassen. So unter dem Motto: Die werden schon noch draufkommen, dass ich recht hab! Ich war ja selbst ein schwer erziehbares Kind. Ich halte auch überhaupt nichts von Drill und Schulen und diesen Dingen. Das ist alles ein Blödsinn.

Worauf setzen Sie?
Auf das enorme genetische Programm. Motto: Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm. Wenn die Frauen mich lassen hätten, dann hätt ich gern mehr Kinder gehabt, ich hab ja eine Menge zu vererben! Zwei meiner Kinder sind außerdem Wiedergeburten. Die Deborah ist meine Mutter, die Lucretia ist mein Vater. Komm her, Deborah! – Ruft seine heute 17jährige Tochter zu uns und streichelt vor uns ihr Gesicht. – Sehen Sie dieses Gschau! Sie hat denselben Blick wie meine Mutter.


Erzählen Sie uns von Ihrer Mutter, Herr Fuchs.
Meine Mutter ist mein Leben. Sie war von frühester Kindheit an mein bester Spielgefährte, ihr verdanke ich die Prägung des Künstlers in mir, die frühe Entwicklung meiner Gaben. Aber auch mein Vater ist immer noch spürbar für mich…

Wie erinnern Sie Ihren Vater?

Mein Vater war der Held, der alles wusste und alles erklären konnte. Seine Erzählungen und seine Märchenwelt hatten eine hypnotische Ausdruckskraft. Er hatte etwas Eigenartiges in seinem Blick, so ein Funkeln, das aus seinen Augen kam. In diesem Funkeln hab ich die Abstammung von den Göttern gesehen.

War es eine glücklich Ehe, die Ihre Eltern geführt haben?
Nein. Die Eltern hielten nur mir zuliebe zusammen, obwohl ihre Gemeinschaft voller Konflikte war… So wenig sie zueinander passten, für mich waren sie eine Person, alle ihre gegenseitigen Spannungen fühlte ich in mir. Ihr Ernstl war politisch gesehen ein Kind der Auseinandersetzung zweier Welten: Kaiserstadt Wien, im Proletariat versinkend. Und: Stadt vieler Weltkulturen und ihrer Völker.

Ihr Vater musste als Jude aus Wien fliehen.
Es war eine schreckliche Zeit, wir mussten uns alle verstecken. Bis auf meinen Onkel und eine Tante ist ja die ganze Fuchs-Sippschaft in den Gaskammern ums Leben gekommen. Das Schlimme ist: Ich weiß nicht einmal, in welcher! Das Andenken an meinen Vater ist zum Monument des leidenden, verhassten und schließlich fast ausgerotteten Volkes der Juden in mir gewachsen. Zuletzt hat mir mein Vater diesen Satz gesagt: Ernstl, was ich mir erträumt habe, das ist in dir in Erfüllung gegangen. Er meinte damit die Begabung zur Philosophie, zur Sprache, zur Kunst.

Sehen Sie sich auch in Ihren Kindern verwirklicht?
Nein, weil ich nicht an Erziehung glaube. Ich glaube an Wohltaten, die sich auswirken, an Geduld, die sich bezahlt macht. Ich verwöhne meine Kinder heute noch maßlos. Letzten Endes entsteht Erziehung, Manipulation und Drill aus Selbstmitleid, aus dem Wunsch, sich selbst zu bessern. Missratene Väter wünschen sich geratene Söhne!

Ihr jüngster Sohn Julian ist heute 7: Was haben Sie zuletzt mit Ihm unternommen?
Wir haben uns gemeinsam die „Fledermaus“ angeschaut. Er war so euphorisch, überhaupt nicht mehr ins Bett zu kriegen. Wir haben mitgetanzt, gelacht! Ein richtiges Vater-Glücksgefühl war das. Wie unlängst, als er sich eine Krawatte wie ich sie trage von mir gewünscht hat.

Herr Fuchs, bei so vielen Müttern und so vielen Kindern, gibt es da viel Eifersucht?
Manchmal weigert sich die eine oder andere, zur Reunion zu erscheinen. Aber sonst… Ich bin auch nicht eifersüchtig. Meine Beziehung zu meiner Frau ist schön und nicht schön, herrlich und schrecklich zugleich. Ich hatte früher schließlich auch Freundinnen neben meinen Frauen. Die orientalische Kultur übt eine Faszination auf mich aus; so als Scheich im Harem inmitten aller Frauen vereint und an der Wasserpfeife zuzelnd, das ist schon nett und rundum die Eunuchen, aber des geht ja net bei uns......

Ihr Leben scheint gegen alle Konventionen verlaufen zu sein.
Unser Kultur lebt davon, Konventionen aufrecht zu erhalten. Meine Ideale einer katholischen Lebensführung aber waren mehr von Sehnsucht danach bestimmt als von Verständnis. Mein Lebensweg hat vielmehr einer redaktionellen Stelle gehorcht, die ich nicht kenne.

Möchten Sie in den Herzen Ihrer Kinder so präsent sein wie Ihr eigener Vater heute noch lebendig ist für Sie?

Beim Begräbnis von Simon Wiesenthal hat mich ein Satz sehr berührt: Die Erlösung liegt in der Erinnerung. Wenn der Vater in den Erinnerungen seiner Kinder weiterlebt, dann werden sie Erlösung finden. Das ist der Zyklus des Lebens, die Mystik der Unsterblichkeit. Wir leben durch unsere Kinder und in ihnen weiter.

3. Mai 2009, erschienen im KURIER