Musik ist viel mächtiger als Politik
Hubert von Goisern

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„De Falotten soll der Teufel holn“  singt Hubert von Goisern in Anspielung auf Finanzhaie und Euro-Krise und trifft mit seiner Alpenpolka das Lebensgefühl einer ganzen Generation. Im Interview mit Conny Bischofberger erzählt der Künstler, wie es ist, plötzlich die Nummer eins zu sein.

Aufgeregt wie ein kleiner Bub reiht er sich in die Warteschlange vor dem Wahrzeichen im Wiener Prater. „Ich mag das Riesenrad, dieses Schweben über Wien“, sagt der Sänger, und sein verknittertes Gesicht glättet sich zu einem zaghaften Lächeln. Eigentlich, gesteht er, habe er Höhenangst. Herr Martin, der die roten Waggons dirigiert, erkennt ihn sofort. „Herr Goisern! Das wird mir meine Frau niemals glauben.“ Fast peinlich berührt schreibt der Sänger ein Autogramm. Drei Runden dauert unser Gespräch über Erfolg, Geld und sein Lebensgefühl, das ganz viele Menschen mit ihm teilen. Hubert von Goisern ist ihre Nummer eins.   

Herr von Goisern, warum fahren wir Riesenrad, wenn Ihnen dabei mulmig zumute ist?
Ich mag das Riesenrad, dieses Schweben über Wien. Die Höhe macht mir jedes Mal aufs Neue Angst. Es geht darum, diese Angst zu überwinden. Wie bei meinen Auftritten.

Lampenfieber?
Und wie. Viele Jahre lang habe ich mich fast angespieben, bevor ich auf die Bühne musste. Irgendwann bin ich draufgekommen: Die Angst sitzt im Kopf, und mit dem kann man reden.

Wie reden Sie mit Ihrem Kopf? Wie mit einem kleinen Kind, das Sie beruhigen, oder schimpfen Sie vielleicht sogar mit ihm?
Weder noch. Mit seinem Inneren soll man schon auf gleicher Augenhöhe kommunizieren. Nicht von oben nach unten.

„Jeder woass, dass a Geld nit auf da Wiesen wachst“, singen Sie, passend zur Finanzkrise. Wie ist es, plötzlich die Nummer eins zu sein?
Wie ein Wunder. Das positive Feedback ist großartig. Es scheint, als hätte ich mit meinem Lied viele Nerven berührt.

Ist das ein Wut-Song, den Sie da geschrieben haben?
Wut kann schon motivieren und Impulse geben. Der Zorn und die Wut als Kick, das ist okay. Aber in einem kreativen Prozess kommen eher die Lebensgefühle hoch. Die Finanzkrise, die uns jetzt schon seit drei Jahren verfolgt, der Hunger in der Welt.

„Aber hoazen toan ma Woazen und de Ruabn und den Kukuruz“, singen Sie. Wie politisch ist Ihr Lied?
Dass wir in Zeiten, wo ein Teil der Menschheit an Unterernährung stirbt, Biomasse verheizen, hat mich immer schon aufgeregt. Aber ich wollte kein politisches Lied schreiben. Weil Musik viel mächtiger ist, als Politik je sein kann. Was mich nervt, ist, dass die am meisten gehört werden, die am lautesten schreien. Gerade wenn es um Europa geht. Jene Leute, die fun dierte Ideen haben, sprechen leise, deshalb sollten wir nicht immer den Lautesten zuhören.

 

Ein Plädoyer für die EU zum heutigen Nationalfeiertag?
Ja. Es wäre schade, wenn dieses Europa jetzt zerbricht, weil es viel mehr ist, als nur Märkte zu erobern oder sich abzuschotten. Wir brauchen einander, gerade wenn die Zeiten schlecht sind. Egal, wo wir zuhause sind auf dieser Welt: Wir müssen zum Beispiel mit unseren Ressourcen achtsamer umgehen. Und wir dürfen unintegren Menschen nicht auf den Leim gehen.

„De Falotten soll der Teufel holn“ – wen meinen Sie da?
All jene, die in Politik und Finanzwesen ihr Unwesen treiben. Ich werde keine Namen nennen, denn diese Leute haben eine Schar von Rechtsanwälten um sich, und ich habe keine Lust auf irgendwelche Gerichtsverhandlungen

Sind Sie ein Zornbündler?
Für mein Lied trifft das sicher zu. Aber grundsätzlich fühle ich mich nicht als einer, der den Zorn anderer bündelt. Zorn macht sehr viel kaputt. Als Lebensgefühl aber sind Wachsamkeit und Respekt tauglicher. Auch Liebe und der Glaube an das Gute im Menschen.

Verkörpert das „Occupy Wallstreet?
Ich identifiziere mich sehr mit denen. Ich finde es wunderbar, dass sich das Bewusstsein der Menschen erhöht, weil es dadurch bald nicht mehr so leicht sein wird, über Menschen und Ideen und Gefühle einfach drüberzufahren.

 Hilft Ihr Lied da mit?
Ich weiß es nicht. Aber ich glaube, dass alles, was wir tun, unsere Welt verändert.

Das Dirndl feiert derzeit ein Comeback, und dass ein Ziehharmonika-Lied die Charts stürmt, hätte sich vor fünf Jahren auch keiner gedacht. Was ist da passiert?
Ich sehe das als Wellenbewegung. Eine Welle kommt und geht, zieht sich ein bisschen zurück, schöpft neue Kraft und kommt aus diesem Rückzug gestärkt wieder hervor. Das war schon Ende der Achtzigerjahre, am Beginn der „Alpinen Lawine“ und zur „Alpinkatzen“- Zeit Mitte der Neunzigerjahre so.

Auch Sie ziehen sich immer wieder zurück, zuletzt sind Sie für ein paar Jahre in Tibet verschwunden. Warum?
Ich werde 2012 hundert Konzerte in Österreich, Deutschland und der Schweiz spielen und dann wieder eine Zäsur machen. Ich brauche den Rückzug von der Öffentlichkeit, weil das konzertante Musizieren sehr viel Kraft kostet. Ich mag nicht mit halber Kraft musizieren, deshalb gebe ich alles, verbrenne alles, und irgendwann ist der Treibstoff zu Ende. Wenn ich bis an die Grenzen meiner Kraft gehe und es wäre kein Ende abzusehen, dann wäre ich im Burnout.

Wie sehr hat das Geld, das Sie jetzt verdienen, Sie verändert?
An meinem Lebensgefühl ändert Geld überhaupt nichts. Weil man sich die substanziellen Dinge ohnehin nicht kaufen kann. Wenn ich ein Lied schreiben will, nützt mein dickes Bankkonto gar nichts. Und auch wenn ich auf einen Berg geh, kann ich keinem 200 Euro geben, der für mich raufgeht. Ich muss es selber und unabhängig vom Geld tun.

26. Oktober 2011, erschienen in der KRONE