„Seit ich auf der Bühne stehe, lebe ich wieder”
Waltraud Haas

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Bitte, fleht Waltraut Haas am Telefon, "schreiben Sie nicht, in welchem Spital ich bin. Meine Fans wollen sonst alle herkommen. Wahrscheinlich um zu schauen, ob ich nicht doch schon tot bin…" Trotz Schmerzen hat "Hasi", 87, Humor. Die Schauspielerin stürzte Dienstag kurz nach 0 Uhr über die Kellerstiege und verletzte sich schwer. Zweiter Halswirbel, zwei Rippen, Elle und Speiche gebrochen. Und am Kopf eine Platzwunde. "Mariandl" über einen bösen Sturz und ihr Riesenglück.

Frau Haas, was macht man um Mitternacht im Keller?
Da bin ich grad nach Hause gekommen – wir waren in der "Orangerie" mit einem Freund, einem wunderbaren Bariton. Ich wollte in mein Zimmer gehen. Plötzlich Stromausfall, alles dunkel. Ich habe angefangen, an den Wänden herumzutappen, und plötzlich eine Tür entdeckt. Ich dachte, aha, das ist mein Zimmer, aber es war leider der Kellerabgang. Da bin ich auch schon kopfüber zwölf Stufen die Stiege runtergesaust.

Was machen Sie für Sachen?
Ja, dass ich so blöd sein kann! Mein Sohn hat gemeint: Du bist nicht blöd, du kannst ja nichts dafür, wenn das Licht versagt. Beim Sturz ging auch eine Fensterscheibe zu Bruch, daher stammt meine Wunde am Kopf. Unten bin ich vielleicht zwei Minuten gelegen, dann hab ich gedacht: Ich kann nicht hier liegen bleiben. Aber aufstehen konnte ich auch nicht.

Ahnten Sie, was Ihnen noch alles passiert ist?
Ich habe schon gespürt, wie ich runtergesaust bin, dass es was Schlimmes sein muss. Aber ich habe die Zähne zusammengebissen und bin auf allen vieren die Stufen raufgekrabbelt, wie ein verletzter Käfer. Oben angekommen, habe ich mich noch zum Telefon geschleppt und meinen Sohn angerufen. Er war in fünf Minuten da und hat die Rettung geholt.

Wurden Sie operiert?
Dreimal. Das Schlimmste ist natürlich der Halswirbelbruch. Dort haben sie mir ein Metallstück eingesetzt. Ich muss jetzt eine Halskrause tragen. Die offene Wunde am Kopf wurde genäht, aber das habe ich gar nicht gespürt. Die Fäden sind noch drin, ich werde also auf dem Foto für die "Krone" nicht wirklich schön sein.

Die Sätze sprudeln munter aus ihr heraus. Sie habe sich im Klasse- Zimmer einsam gefühlt, erzählt Waltraut Haas. Daraufhin sei eine reizende Dame zu ihr gelegt worden. Plötzlich klingt sie kurzatmig. "Das sind die Rippen", murmelt sie. "Sie müssen entschuldigen!"

Was tut am meisten weh?
Wenn ich atme, sticht es. Ich bekomme manchmal auch sehr schwer Luft. Trotzdem gehe ich schon allein, mit einem Rollator natürlich. Gestern bin ich bestimmt eine halbe Stunde im Freien herumgefahren, an der frischen Luft.

Sie könnten auch querschnittgelähmt sein…
Gut, dass man das in dem Moment nicht weiß. Ich hab im Hintergrund immer wieder meinen Mann gesehen. Im Moment des größten Schmerzes – das darf ich vor meinem Sohn eigentlich gar nicht laut sagen – dachte ich: Vielleicht komm ich jetzt gleich zu ihm. Er war sicher mein Schutzengel.

Was würde Ihr Mann jetzt sagen?
'Wie kannst du denn so was machen, Trauti! Muss man denn immer auf dich aufpassen?' Das hätte er gesagt.

Am 20. April ist es vier Jahre her, dass Ihr Mann gestorben ist. Sind Sie mit ihm in einem inneren Dialog?
Selbstverständlich. Mein Sohn, meine Schwiegertochter und ich gehen auch jeden Sonntag auf sein Grab. Und anschließend essen wir dort, wo er auch gern hingegangen ist, unsere Schnitzel. Es ist unser Sonntagsritual. Diesen Sonntag kann ich das erste Mal nicht zu ihm auf den Friedhof. Erwin muss mir das verzeihen.

 

Sie war das "Mariandl" und die resolute Rösslwirtin. Verehrer drehten reihenweise durch wegen ihr, aber sie liebte lebenslang nur einen: Erwin Strahl, den sie "mein Muckerle" nennt. Er starb 2011 mit 82 Jahren.

Frau Haas, Ihre Fans kennen Sie als fröhlichen Menschen, der nie aufgibt. Können Sie tief in Ihrem Inneren auch manchmal so richtig traurig sein?
Na ja, natürlich. Als mein Mann gestorben ist, dachte ich, jetzt ist alles aus. Wissen Sie, was das Furchtbarste war? Die Wiener sind ja reizende Menschen, aber ich konnte diese Worte schon nicht mehr hören. Na, wie geht's Ihnen denn? Wie soll es mir schon gehen? Ich bin dann in der Nacht um zwei mit meiner "Puppi" spazieren gegangen, dass mich ja niemand anspricht. Das hat ungefähr ein Jahr gedauert.

Was ist dann passiert?
Mein Sohn und meine Schwiegertochter haben mich damals ins Leben zurückgeholt. Ich habe die Alte im "Hofrat Geiger", dem Stück, das mein Mann inszeniert hatte, gespielt. Seit ich auf der Bühne stehe, lebe ich wieder.

Sie werden im Juni 88 Jahre alt. Wie lange wollen Sie noch spielen?
Das weiß nur der liebe Gott. Jetzt muss ich erst mal  hier bleiben, man vermutet zwei Wochen. Wenn alles gut geht, spiele ich Ende April im Stück "Der alte Herr Kanzleirat". Ich freue mich auch schon auf Weissenkirchen, wo mein Sohn Intendant ist. Da spielt er den Jedermann, ich die Mutter und meine Schwiegertochter den Mammon.

Im Hintergrund ist zu hören, dass jemand ins Zimmer kommt. Waltraut Haas ruft "Jessas na!". Es ist 17.54 Uhr, ein Bote überbringt einen Strauß von Erwin Pröll – Rosen, Astern, Lilien und Nelken.

Was schreibt der Herr Landeshauptmann?
"Bussi und alles Liebe, Dein Erwin!" – Versucht zu lachen. – Er schreibt aber auch, dass Unfälle in unserem Leben nicht eingeplant sind und von meinem Bühnen- Comeback, das die beste Motivation dafür ist, wieder auf die Beine zu kommen. Er ist so reizend. Wir sind seit vielen Jahren befreundet, er hat auch meinen Mann gut gekannt. Ich muss Ihnen sagen, Niederösterreich ist langsam meine zweite Heimat geworden.

Apropos Bühnencomeback: Gibt Ihnen der Gedanke daran all die Kraft?
Ja, weil ich geh da raus und ich fühle mich glücklich.

Ist Joopie Heesters, der mit 108 noch spielte, Vorbild oder Abschreckung für Sie?
Gar nicht so leicht zu beantworten. Er wolle es halt so. Mit 108 möchte ich nicht mehr auf der Bühne stehen, aber bis 90, vielleicht auch 100, kann ich es mir schon vorstellen.

Frau Haas, heute ist Weltfrauentag. Finden Sie das wichtig?
Natürlich. Mehr Rechte für Frauen sind ein sehr wichtiges Anliegen.

Gendern Sie auch?
Was soll das sein?

Die Gleichstellung von Mann und Frau in der Sprache.
Ach so, nein… Weil das verstehe ich nicht. Da bin ich schon zu alt dazu.

08. März 2015, erschienen in der KRONE