Der Wissenschaftler müsste viel demütiger sein
Dr. Johannes Huber

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Der "Hormonpapst" residiert in einem Biedermeier-Palais des Wiener Diplomatenviertels. An den Wänden seiner Praxis für Frauenmedizin, Kinderwunsch und Hormonkosmetik hängen goldgerahmte Gemälde von Leopold I. und Kaiserin Maria Theresia. Die grüne Bankerleuchte wirft ein sanftes Licht auf seinen kleinen Schreibtisch. Auf dem Mousepad neben dem Laptop steht Saint-Exupérys Zitat "Die Sprache ist die Quelle aller Missverständnisse".

Mit seinem Buch über das Unsichtbare hat sich der renommierte Arzt und Theologe in heikle Sphären vorgewagt. "Ich habe ja schon einige Bücher in meinem Leben und Hunderte Publikationen geschrieben", schmunzelt Prof. DDr. Johannes Huber, "aber noch nie ist ein derartiger Sturm der Entrüstung über mich hereingebrochen." Vor Jahrhunderten seien Menschen verbrannt worden, die nicht an Gott glaubten. Heute sei es umgekehrt: Jene, die sich als gottgläubig definieren, würden von Teilen der Gesellschaft geächtet. Und wenn sie Wissenschaftler sind wie er, auch abqualifiziert.

Herr Professor, am Ostersonntag feiern Christen das Fest der Auferstehung. Ein Phänomen, das sich wissenschaftlich nicht beweisen lässt. Was hat Sie bewogen, solche Phänomene zu legitimieren?
Meine Intention war es keinesfalls, die Naturwissenschaft zu benutzen, um Gott zu beweisen. Aber es ist eine Tatsache, dass sich dem menschlichen Gehirn nur ein ganz kleiner Teil der Wirklichkeit erschließt. Vieles bleibt uns verborgen. Trotzdem existiert es! Das gilt auch für physikalische Phänomene. Bei der Lichtgeschwindigkeit beispielsweise hört die Zeit auf, Zeit zu sein. Das übersteigt unseren Erkenntnishorizont bei Weitem. Es zeigt uns, dass es viele Dinge, sogar in der Physik, gibt, die wir zwar berechnen, aber nicht verstehen können.

So wie Ostern?
Richtig. Für den Gläubigen existieren auch transzendentale Wirklichkeiten wie das Weiterleben nach dem Tod. Es ist eine freie Entscheidung, daran zu glauben. Beide Weltanschauungen, die des Glaubens und die des Nicht-Glaubens, sollen auf gleicher Augenhöhe sein.

Sie attestieren in dem Buch auch der Aura, dem Karma, sogar Schutzengeln eine Existenzberechtigung. Woher kam dieser Mut?
Früher hat die Medizin in die Organe geschaut. Aber heute müssen wir als Mediziner auch hinter die Organe schauen. Wir müssen das ganzheitliche System unseres Körpers verstehen. Oft hängen Dinge in einer wundersamen Art und Weise zusammen, wie es der Wissenschaft bis dato noch nicht bekannt ist. Es gibt in der Wissenschaft eine enorme Arroganz. Eigentlich müssten wir - jetzt völlig unabhängig von der Gottesfrage - viel verlegener sein vor diesem großen schwarzen Loch, das wir nicht kennen. Der Wissenschaftler müsste viel demütiger sein.

Was hat Sie letztlich bewogen, dieses Plädoyer zu schreiben?
Es hat tatsächlich viel mit Ostern zu tun. Die ganze Theologie lebt ja letzten Endes davon, dass es auch andere Welten gibt. In der Ausbildung werden Mediziner jeden Tag mit dem Tod konfrontiert. Für den religiösen Menschen ist der Tod so etwas wie eine Gütertrennung. Ein Teil, der Körper, wird entsorgt, ein anderer Teil kehrt dorthin zurück, wo es weder Raum noch Zeit gibt. Die Engel sind auch zeitlose und raumlose Wesen, jenseits aller Universen. Ich denke, dass das ein existenzieller Trost ist - vor allem in der Moderne, die alles im Diesseits ansiedeln möchte und sich dann eingestehen muss, dass es eine Endlichkeit gibt. Sogar der Krebsarzt Christoph Zielinski hat über den Tod von Sabine Oberhauser gesagt: "Wir alle müssen mit der Endlichkeit leben." Diese Endlichkeit ist ein Faktum, für den religiös-musikalischen Menschen ist das Osterfest deshalb ein Trost.

Glauben Sie persönlich an die Auferstehung?
Was vereint den, der glaubt, und den, der nicht glaubt? Beide vereint der Zweifel. Ich persönlich glaube daran, obwohl ich es nicht beweisen kann. Aber wenn es sogar in der Physik das Raumlose und Zeitlose gibt, dann darf man es doch auch intellektuell als redlich ansehen, wenn ich glaube, dass sich meine Existenz nach dem Tod weitertransportiert. Nicht alles kann man mit der Vernunft erklären. Und es wäre anthropomorph zu sagen: "Nur das, was unser Gehirn erkennt, gilt, und alles andere gilt nicht."

Ist Ihr Glaube mit den Jahren stärker geworden?
Ja. Das hängt damit zusammen, dass man mit fortschreitendem Alter, ich würde sagen, ab der Lebensmitte, die eigene Endlichkeit erkennt.

 

 

 


Sie sind 70. Ab wann ist man in Ihren Augen alt?
Ich arbeite eigentlich so wie immer und fühle mich überhaupt nicht alt. Und ich befolge die drei Anti-Aging-Regeln. Erstens weniger essen, zweitens Bewegung und drittens Meditation. Zu Letzterem zählt übrigens auch Beten.

Wird der christliche Glaube wichtiger in einer Zeit, in der der Islam eine immer größere Rolle spielt?
Das ist eine ganz wichtige Frage. Ich wundere mich, dass unsere aufgeklärte Gesellschaft den religiösen Inhalten anderer Religionen viel mehr abgewinnen kann, ihnen mit größerer Toleranz entgegentritt, als dem Christentum. Wenn jemand am Sonntag einen Baum umarmt und mit ihm eins wird, dann finden das alle toll. Wenn jemand am Sonntag in die Kirche geht, wird er belächelt. Zum Islam muss man sagen: Würde das Christentum heutzutage so verachtend mit menschlichem Leben umgehen, wie es in manchen Teilen der Welt der Islam zu verantworten hat, würden Christen vom sich so humanistisch ausgebenden Westen niedergeschrien werden. Die Regensburger Rede, in der Papst Benedikt Ähnliches sagte, müsste eigentlich Teil des Gegenwartsunterrichts an unseren Schulen sein.

Tut die katholische Kirche genug, um die Religion hochzuhalten?
Nein, die katholische Kirche ist viel zu weich. Deren Repräsentanten sind auch nicht in der Lage, die Religion so darzustellen, dass der aufgeklärte und moderne Mensch sie als vernünftig betrachten kann und anziehend findet. Die Kirche müsste auch viel mehr Standfestigkeit haben.

Herr Professor, Sie waren ja lange Zeit Sekretär von Kardinal Franz König. Was hat er Ihnen mitgegeben?
Am Ende seines Lebens hat er zu mir gesagt: "Versuchen Sie weiter, den Dialog zwischen Naturwissenschaft und Religion zu pflegen." Das war eine Art Vermächtnis und mit ein Grund, warum ich dieses Buch geschrieben habe. Denn unter uns gesagt bin ich mit der Medizin eigentlich ausgelastet und die Anfeindungen hätte ich mir auch ersparen können.

Ist es anstrengend, sich mit den Kritikern auseinandersetzen zu müssen?
Wenn man die heiße Luft oder den Geruch von scharfen Gewürzen nicht verträgt, dann darf man kein Koch werden. - Lacht. - Wenn ich mich also auf dieses Parkett begebe, dann muss ich damit leben, dass mir ein schroffer Wind entgegenbläst.

Apropos Kardinal: Es gibt da ein hartnäckiges Gerücht ...
Ach ja? - Lacht.

Dass Sie sein Sohn seien. Stimmt das?
Es könnte mir nichts Schöneres passieren. Also ich wäre wahnsinnig stolz, aber ich fürchte, es stimmt nicht. Ich bin zu einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit überzeugt, dass ich nicht sein Sohn bin. Weil ich meinem leiblichen Vater doch sehr ähnlich schaue. Beweisen könnte es freilich nur eine DNA-Analyse.

Haben Sie Kardinal König einmal darauf angesprochen?
Ich hätte ihn fragen können. Aber damals war das noch kein Thema. Irgendjemand hat diese zündende Idee in die Welt gesetzt und sie hat sich fortgesetzt. Ich weiß nicht, welche Chaostheorie oder welche Kräfte dahinterstehen. Aber es ist faszinierend zu sehen, wie so eine Vermutung explosionsartig um sich greift.

Als sie 60 wurden, haben Sie gemeint, im Alter möchten Sie einmal Pflanzen züchten, die Hormone produzieren. Haben Sie sich diesen Wunsch erfüllt?
In der Zwischenzeit hat sich die Substanz und auch das Interesse ein wenig verlagert, aber die Grundidee ist gleich geblieben. Ich habe es mir gegönnt, einen kleinen Weingarten bei Eisenstadt zu pflanzen. Die Weintraube beinhaltet ja auch ein Phytohormon, nämlich das Resveratrol. Das Leben mit der Natur, das Wachsen und Gedeihen der Früchte, ihren Kampf gegen Umwelt und Schädlinge mitzuerleben, bedeutet mir viel. Das Erwachen der Natur, gerade jetzt zu Ostern, dahinter steckt eine enorme Kraft der Evolution.

In Ihrem Buch steht: "Der neue Mensch wird 100 Jahre alt. Dann wird er sich selbst überlassen. Dann stirbt er in Frieden." Gilt das auch für Sie?
Es ist auch mein Traum. Dabei geht es nicht darum, unbedingt 100 Jahre alt zu werden. Sondern mit 80 nicht fünf Bypassoperationen zu haben, nicht mit einer Osteoporose im Stuhl sitzen zu müssen und wenn möglich noch Kreuzworträtsel auflösen zu können.

Um irgendwann in Frieden zu sterben?
Ja, das wäre das Schönste. Ohne Schmerzen und ohne große Angst, in das Nirvana einzugehen. Sondern in eine Geborgenheit, der man als gläubiger Mensch ein ganzes Leben lang vertraut hat. Das wäre eine große Gnade.

Stirbt der gläubige Mensch leichter?
Erstens einmal stirbt er gesünder. Da gibt es ja diese wunderbare Studie, wo Herzinfarktpatienten untersucht wurden. Jene, die gebetet haben, erlitten weniger häufig einen zweiten Infarkt. Aber ich denke auch, dass jemand, der gläubig ist, in großem Frieden in sein neues Dasein hinübergehen kann. Das ist ja die Zentralaussage des Christentums: Dass wir auf dieser Welt nur im Exil sind, dass wir postmortal wieder dorthin gehen müssen, von wo wir pränatal gekommen sind.


16. April 2017, erschienen in der KRONE