Conny Bischofberger traf die amerikanische Star-Autorin Siri Hustvedt zuhause in New York zum Gespräch über Frauen, Liebe und Wahnsinn.
Sie öffnet selbst die Tür zum großbürgerlich-viktorianischen Stadthaus in Park Slope, Brooklyn – dort, wo New York wie London aussieht mit seinen schicken, einstöckigen Town-Houses, den jungen Boutiquen, Buchläden und Organic-Food-Cafes, – und freut sich über die kleine Holzkiste mit der Sachertorte aus Wien. „Sie werden es nicht glauben, aber ich war noch nie dort“, erzählt die amerikanische Star-Autorin („Die unsichtbare Frau“, „Was ich liebte“, „Die Leiden eines Amerikaners“), die am kommenden Freitag den 39. jährlichen Siegmund Freud-Vortrag in Wien halten wird.
Für unser Gespräch, das für sie eine willkommene Schreibpause zu sein scheint, versinkt Siri Hustvedt (56) elegant in einer Couch. Ihre langen Beine hat sie grazil umeinandergeschlungen, die Hände auf die Knie gebettet. Der träumerische Blick aus ihren wässrig-blauen Augen zaubert eine feenhafte Aura in den Raum.
Sir Hustvedts neuester Roman „Der Sommer ohne Männer“ sei „ein Buch über die Wut und die Rebellion von Frauen“. Da fällt Mia aus allen Wolken, als Boris eine Pause will (die Pause ist barbusig, Französin und 20 Jahre jünger) – und das nach 30 tadellosen Ehejahren.
So lange ist auch Siri Hustvedt mit dem Schriftsteller und Regisseur Paul Auster verheiratet. Die beiden gelten als eine Art Traumpaar der Intellektuellenwelt von New York.
Gibt es noch mehr Parallelen zu Ihrer Ehe, abgesehen von der Dauer?
Nein. Paul hat mich nie verlassen.
Hand aufs Herz: Ist das nicht eine sehr klischeehafte Allerweltsgeschichte: Mann betrügt Frau, und diese wird wahnsinnig vor lauter Kummer?
Naja, das mag schon sein. Die Inspiration für das Buch kam aus meinem nahen Umfeld. Drei Betroffene kenne ich persönlich, fünf andere Geschichten aus zweiter Hand.
Passiert das immer nur Frauen?
Nein, aber die Geschichten, die ich privilegiert war zu hören, waren nun mal von Frauen. Mich hat auch nicht so sehr interessiert, dass da eine Ehe in Brüche geht – das passiert doch ständig! – sondern das Fehlen jeglicher Kommunikation. Der Abschied ohne Ankündigung, das schlimmste Klischee überhaupt: Der Mann geht weg, um Zigaretten zu holen und kommt nie mehr zurück. Oder er ruft noch ein letztes Mal an oder schreibt eine SMS. Davor gibt es keinerlei Warnung, kein Gespräch, keine Hinweise auf Unzufriedenheit. Für mich ist das bemerkenswert.
Wie erklären Sie sich das?
Ein Freund rief mich aus Deutschland an und sagte „Aber Mia ist überhaupt nicht selbstkritisch!“ Ich habe ihn gefragt, ob er wirklich glaubt, dass das, was da passiert, so viel mit Mia zu tun hat? Boris fühlt sich zu dieser jungen Frau hingezogen, er kann ihrer Lebendigkeit nicht widerstehen. Dafür habe ich ganz viel Verständnis. Weil es ja nicht so ist, dass er Mia nicht ausstehen kann, er wird vielmehr hineingezogen in das Leben eines jüngeren, vitaleren Wesens. Der Mann will auch so empfinden, gerade wenn seine sexuelle Vitalität abnimmt.
Ist es ein Buch über den Krieg der Geschlechter?
Ich betrachte das Verhältnis zwischen den Geschlechtern nicht als Krieg… Ich sehe mein Buch als eine Art weitschweifigen Roman über die Idee der Unterschiede zwischen Menschen, nicht nur des sexuellen Unterschieds zwischen Mann und Frau. Wann verändern sich Menschen, was bedeutet diese Veränderung? Ich will damit all diese wirklich schockierenden, evolutionären, soziobiologischen Theorien zu Männern und Frauen durchkreuzen. Sie sind wirklich so dumm.
Wäre es dasselbe Buch gewesen, wenn all das, was Mia widerfahren ist, einem Mann widerfahren wäre?
Nein, es wäre ein anderes Buch gewesen, denn wir leben nicht in einer gleichberechtigten Gesellschaft, sondern immer noch in einer patriarchalen. Was nicht heißt, dass Frauen nicht weit gekommen sind, aber denken Sie daran – es ist noch nicht einmal 100 Jahre her, dass Frauen in den USA zum ersten Mal wählen durften. 100 Jahre, das ist vielleicht ein langes Leben, aber nicht mehr als das. In dem Buch kommen Frauen verschiedenen Alters vor und ich glaube, man spürt wie viel schwerer die Geschichte, die Einschränkungen für die älteren Frauen waren. Bei Mia schon weniger und bei ihrer Tochter noch einmal weniger.
In einigen neueren Romanen haben Sie auch aus der Perspektive eines Mannes geschrieben. Ist für Sie ein Mann also nicht ein Wesen von einem anderen Stern?
Nein, auf keinen Fall. Ich habe dieses Buch „Männer sind vom Mars, Frauen von der Venus“ nie gelesen, weil ich die Idee eines tiefgehenden und verfremdenden Geschlechtsunterschiedes für Unsinn halte. Ich glaube wirklich, dass Männer und Frauen weit mehr gemeinsam haben, als Unterschiede sie trennen.
Sie sind seit 30 Jahren mit Paul Auster verheiratet. Hat ihm „Der Sommer ohne Männer“ gefallen?
Er hat es geliebt. Ich habe ihm immer wieder Passagen vorgelesen und er sagte „Es ist großartig. Lies weiter!“.
Er darf also Ihre Bücher lesen, während sie im Entstehen sind?
Wir lesen uns häufig gegenseitig recht umfangreiche Teile vor – grad letzte Nacht hat er mir etwas vorgelesen, an dem er gerade arbeitet. Am Ende geben wir uns die Manuskripte und machen kleine Anmerkungen am Rand. Wir sind dabei sehr ehrlich zueinander.
Findet da eine Art Wettschreiben bei Ihnen zuhause statt?
Wir arbeiten beide hart und geben unser Bestes. Wenn es ein Wettlauf im Besser Schreiben wäre, hätten wir nicht für so eine lange Zeit zusammen bleiben können.
Wie muss man sich die Arbeit als Schriftstellerin vorstellen?
Ich habe mein Arbeitszimmer im obersten Stock und ich liebe es, früh aufzustehen. Gleich nach dem Frühstück, um halb acht Uhr morgens, sitze ich schon an meinem Schreibtisch, weil mein Verstand am Morgen am klarsten ist. Dann arbeite ich bis in den frühen Nachmittag und lese danach meistens für drei, vier Stunden Bücher aus Fachgebieten, die in meinen Geschichten vorkommen. Es ist wie ein ganz normaler Job, der mir aber sehr viel Spaß macht.
Ist Schreiben nur Vergnügen oder auch Qual für Sie?
Es ist beides. In den letzten Jahren –das mag vielleicht an der Erfahrung liegen – quälen mich Sackgassen nicht mehr so sehr. Der Schlüssel liegt darin, sehr entspannt und offen zu sein. Wenn ich also wo hängen bleibe, stehe ich auf und gehe ein Stück im Haus herum, oder auch rüber in den Park. Dieser Motor, das Monotone, lockert mich wieder auf. Ich kann heute auch den Moment der geistigen Müdigkeit genau spüren. Wenn ich mich über diesen Punkt hinaus zwinge, dann muss ich sowieso alles umschreiben. Also kann ich gleich aufhören.
Sie kennen sich sehr gut…
Es sind doch schon einige Jährchen vergangen, ich bin kein junges Hühnchen mehr. – Lacht.
Wie entstehen Ihre Geschichten? Träumen Sie sie oder setzen Sie die Handlung wie ein Puzzle im Kopf zusammen?
Es fängt meistens so an, dass sich etwas aufdrängt, ein Bild, ein Gefühl, eine Idee. Sehr oft sehe ich es auch bildlich vor mir. Getragen wird das alles von einer Art Rhythmus, einem Beat, einer Stimme, die plötzlich da ist. Schreiben fühlt sich an wie innere Musik. Ich bin überzeugt davon, dass es da einen sehr starken Zusammenhang gibt zwischen Kreativität und dieser Musikalität, die auch die Grundlage von Sprache ist.
Verwenden Sie Moleskins?
Ich verwende Moleskins, aber auch sehr einfache, karierte Notizbücher, die ich im Zeichengeschäft kaufe. Mein Schreibtisch ist in der Regel komplett übersät von kleinen Papierfetzen, auf denen ich Zitate, Erinnerungen, Eselsbrücken undsoweiter notiert habe – wie ganz viele Puzzleteilchen.
Wann ist ein Buch für Sie ein Erfolg? Muss es ein Bestseller sein?
Oh Gott, nein! Es ist natürlich wundervoll, wenn ein Buch sich gut verkauft, aber es hat - unglücklicherweise, aber das ist die Wahrheit - nichts mit seinem Wert zu tun. Es ist vielleicht eine sehr kitschige, altmodische Art, das so zu sehen, aber ich glaube, Bücher überdauern dann, wenn Menschen aus irgendeinem Grund nicht aufhören, sie zu lesen. Das ist es, was zählt. Wenn meine Bücher also noch in hundert Jahren gelesen werden, - auch in Wien! - dann werde ich das zwar nie erfahren, aber ich stelle es mir wundervoll vor.
Sie kommen am 6. Mai nach Wien, haben Sie Ihre Rede zu „Freuds Playground“ schon fertig geschrieben?
Ja, ich wollte sie früh fertig haben. . Das Wort, das James Strachey auf Englisch als „Playground“ übersetzte, heißt im Deutschen „Tummelplatz“. Ein sehr schönes Wort, weil auch die Idee des Spieles mitschwingt. Ich will in meiner Vorlesung die Idee dieses Spielplatzes aufgreifen und herausfinden, wohin uns das führt. Ich hätte zumindest ein kleines Buch darüber schreiben können, wenn nicht sogar ein großes… Die Arbeit daran war wie eine Art Reise, ein Gedanke führte zum nächsten.
Haben Sie nie daran gedacht, Psychoanalyse zu studieren?
Naja, ich bin in diesen Stoff schon seit einer langen, langen Zeit vertieft. Schon in der High School habe ich Freud zu lesen. Nicht, dass ich ihn damals komplett verstanden hätte, aber ich begann mich stark dafür zu interessieren, so wie ich aufgrund meiner Krankheit, der Zitteranfälle, begonnen habe, mich mit Neurobiologie zu beschäftigen. Erst vor einigen Wochen habe ich einen Vortrag am „New York Psychoanalytic Society and Institute“ dazu gehalten. Der Vortrag wird jetzt im „Neuropsychoanalysis Journal“ veröffentlicht.
Haben Sie, so wie Woody Allen, auch selbst Psychoanalyse gemacht?
Im Buch „Die zitternde Frau“ erzähle ich eine kleine Anekdote, wo ich einen Psychoanalytiker aufsuche, nämlich „Dr. C.“. Naja, ich bin von Dr. C. nie losgekommen, ich bin noch immer bei ihm. Es war ursprünglich das Krampfanfallssymptom, das mich dazu brachte, zu ihm zu gehen. Aber als ich dann dort war, empfand ich es als echtes Abenteuer.
Wird Dr. C. in Wien sein, wenn Sie über Freud sprechen?
Ich glaube – Vorsicht! Übertragung! – das würde schiefgehen, wenn der eigene Analytiker im Publikum säße. –Lacht. –Ein Freund von mir, Mark Solms, ist Neurowissenschaftler und Psychoanalytiker. Von ihm stammt der Satz: „Psychoanalyse ist die Konfrontation mit jenen Dingen, die man über sich selbst lieber nicht wissen möchte.“ Damit hat er den Nagel auf den Kopf getroffen. Das ist übrigens sehr befreiend.
Hat Wien als Geburtsstadt Freuds eine spezielle Bedeutung für Sie?
Oh ja, natürlich! Ich bin sehr aufgeregt darüber und es steht außer Frage, dass ein Teil von mir eine Übertragung zu all dem hat.
Könnten Sie sich eigentlich vorstellen, woanders zu leben als in New York?
Vorstellen kann ich mir alles mögliche, aber es wird nicht passieren. Allein der Gedanke, an diesem Punkt meines Lebens wegzuziehen, macht mich krank.
Woody Allen sagt über diese Stadt: „Das ist New York: Du gibst ihnen Geld und wirst trotzdem erstochen.“
Ja, das ist seine Art von Humor… Ich mag ihn und seine Filme sehr, vor allem „Ein Verbrechen und andere Kleinigkeiten“, den halte ich für ein wahres Meisterwerk. Zurück zu New York: Ich denke, es ist die Stadt, die am meisten alle Unterschiede toleriert.
Wenn unser Interview erscheint, werden William und Kate geheiratet haben. Interessieren Sie sich auch für solche Dinge?
Ehrlich gesagt interessieren mich Königshäuser und andere Prominente überhaupt nicht. Da züchte ich lieber Blumen hinten in meinem Garten, als mir so was anzuschauen.
Schreiben Sie schon an Ihrem nächsten Buch?
Oh ja. Und es gibt auch schon den Titel dafür. Er lautet „Monsters at home“. Ich hoffe, dass er Sie und alle Ihre Leserinnen und Leser schon jetzt neugierig macht.
30. April 2011, erschienen im KURIER