CNN-Chef Ken Jautz über historische Fernsehmomente und die Folgen der digitalen Revolution.
Er hat eine Konferenz im „Morgans“ an diesem Vormittag, deshalb treffe ich Ken Jautz nicht im Sender, sondern in einer der stylishen Junior-Suiten des New Yorker Designer-Hotels. „Mein Deutsch ist leider nicht gut genug“, bedauert der US-Chef des Mediengiganten CNN, der seine Karriere in Europa gestartet hat. Macht strahlt der freundliche, fast bescheiden wirkende Manager nicht aus. Aber immer noch Leidenschaft für den Journalismus: Mit leuchtenden Augen erinnert er sich an den Fall der Berliner Mauer, an den Golfkrieg, an den Zusammenbruch der ehemaligen Sowjetunion. Reporter Ken Jautz war live dabei. Die Sirenen der Einsatzfahrzeuge, die von der Madison Avenue herauf dringen, untermalen seine Erzählungen mit dem Sound von New York.
Als am Sonntagabend des 2. Mai 2011 Präsident Obama den Tod von Osama bin Laden verkündet, bahnt sich eine historische Nacht für den Nachrichtensender CNN an – nie zuvor seit den US-Wahlen 2008 waren die Einschaltquoten so hoch.
Mister Jautz, was war bei Ihnen letzten Sonntag los?
Ich war am Wochenende für die Royal-Wedding-Übertragung in London und bin am späten Nachmittag in New York gelandet – mit einem Jet-lag und ziemlich müde. Gegen 21 Uhr, bei Ihnen drei Uhr früh, - gerade, als ich mich freute, dass ich früh schlafen gehen kann – hat mich der Sender informiert, dass Obama noch am selben Abend eine Rede halten würde. Wir hatten zu diesem Zeitpunkt noch keine Ahnung, welchen Inhalts.
Ihr erster Gedanke?
Eine Last-Minute Rede des Präsidenten an einem Sonntagabend ist höchst unüblich, ja beispiellos. Deshalb wusste ich natürlich, dass Obama etwas sehr Signifikantes, Dramatisches verkünden würde. Wir holten eine Menge von Reportern und Producern für Hintergrund-Recherchen ins Washingtoner Büro, und noch mehr Producer und Techniker bereiteten parallel dazu eine große Live-Übertragung vor.
CNN meldete die Tötung um 4.40 Uhr unserer Zeit, das Insert Ihres Konkurrenten Fox News lautete: „Osama bin Laden dead“. War das ein kritischer Moment, mit dieser Nachricht so früh rauszugehen?
Wichtiger als die Geschwindigkeit ist uns immer Genauigkeit. Unser Grundsatz lautet: Sobald wir zwei verlässliche voneinander unabhängige Quellen haben, gehen wir mit der Nachricht raus – da spielt es keine Rolle, ob wir dem Präsidenten damit zuvorkommen oder nicht. In diesem Fall waren wir besonders vorsichtig und hatten sogar drei Quellen.
Ein historischer Moment?
Ein für Amerika sehr bedeutender Moment, und deshalb war Osamas Tod für uns eine Sternstunde mit Top-Quoten. Es zeigte sich erneut, dass die Menschen, wenn etwas Wichtiges passiert, CNN einschalten. Die Tatsache, dass sich vor dem White House, am Times Square und am Ground Zero sofort Menschen versammelten, zeigt, wie groß das Interesse an Osama Bin Laden ist und wie emotional die Amerikaner auf seinen Tod reagieren.
Um die Fotos des Toten ist jetzt ein heftiger Streit entbrannt. Dass Obama sie nicht herausgeben will, heizt die Verschwörungen an: Würden Sie die Bilder zeigen wollen?
Um das zu beantworten, müsste ich sie sehen.
Sehnen Sie sich in solchen Momenten zurück in die Zeit, als Sie noch Reporter waren?
Ein Journalist möchte immer da sein, wo Geschichte geschrieben wird… Ich war in Moskau, als es einen Putschversuch gegen Gorbatschow gab, in Saudi Arabien, als der erste Golfkrieg begann, in Berlin, als die Mauer fiel, in London, als Prinzessin Diana ums Leben kam. Und ich bin im Frühjahr 2001 nach New York gezogen, kurz vor 9/11. Timing ist im Leben eines Journalisten sehr wichtig. Heute arbeite ich im Managementbereicht, trotzdem habe ich noch das Gespür für News und auch die logistischen Herausforderungen, mit denen meine Leute vor Ort oft konfrontiert sind.
Trotz modernster Technik?
Heute reicht ein kleiner Aktenkoffer. Als wir früher zum Beispiel über den Genozid im Kongo berichtet haben, brauchten wir für ein Live-Satelliten-Signal 36 Koffer voller Fernseh-Equipment, was 700 kg Übergewicht im Flugzeug waren.
Noch nie zuvor haben Nachrichtensender, wie zuletzt in Libyen, von beiden Seiten eines Kriegs berichtet: Auf der einen Seite die Bilder der Gaddafi-Unterstützer, auf der anderen die der Rebellen. Beeinflussen die Medien heute stärker die Weltgeschichte?
Das ist eine interessante Frage. “Niemals zuvor” ist aber nicht ganz richtig. Das erste Mal, dass in Fernseh-Live-Übertragungen von beiden Seiten eines bewaffneten Konflikts berichtet wurde, war während des ersten Golfkriegs. Damals sendete CNN aus Bagdad, während die Stadt bombardiert wurde. Ich war damals für Saudi Arabien zuständig. Dass Menschen heute Live-Bilder von Kriegen sehen, ja, das kann einen großen Einfluss haben. Im ehemaligen Ostdeutschland zum Beispiel sahen die Menschen Bilder von Flüchtenden aus Ungarn und Prag, genau so wie heute Menschen in den arabischen Ländern Bilder von den Aufständen in Nordafrika sehen. Die Berichterstattung erschwert es den Regimes zunehmend, die Kontrolle über die Informationspolitik zu behalten.
Als Mediengigant kann ein Sender manchen Themen mehr und manchen weniger Aufmerksamkeit schenken. Während in Japan eine Atomkatastrophe ihren Lauf nimmt, verhungern Tausende von Kindern in Afrika, nur sind dort keine Kameras. Beschäftigt Sie so was?
Ja, aber dank der fortschreitenden Technologie können wir von immer mehr Orten weltweit live berichten. Und während wir früher auf Agenturen angewiesen waren, gibt es heute aufgrund der vielen Handykameras praktisch kein Ereignis mehr, von dem uns Menschen vor Ort nicht Videos schicken. Wir nennen sie „I-Reporter“. CNN hat mittlerweile eine halbe Million davon. Sogar von der Elfenbeinküste bekommen Sie heutzutage Live-Videos. Trotzdem: Am Ende muss jemand entscheiden, was die Hautpmeldungen sind.
Wie muss man sich diesen Entscheidungsprozess vorstellen?
Für jede unserer Redaktionen anders. Bei CNNI Asia wird eine andere Meldung an der Spitze stehen als bei „CNNI Africa“, einfach weil Menschen in Asien andere Dinge sehen wollen als Menschen in Afrika oder in Europa. Es gibt keine Zentrale, die bestimmt, dass überall dasselbe gezeigt werden soll. Es ist genau anders herum, jede Plattform entscheidet unabhängig für ihr Einzugsgebiet.
Wie kam es, dass Sie drei Jahre lang in Österreich gelebt haben?
Ich war als AP-Reporter in den frühen Achziger Jahren von Wien aus für Warschau, Bukarest und Budapest zuständig. Als junger Student habe ich im Rahmen eines Austauschprogramms auch schon einige Monate in Bregenz gelebt. Ich fand es schon damals interessant, dass es in Österreich, einem so kleinen Land, eine so große Zeitungsdichte gibt. Und dass die einzelnen Blätter sich total voneinander entscheiden. In jener Zeit habe ich auch den „Staatsfunk“ ORF kennengelernt mit seiner sehr traditionellen Herangehensweise.
Wie wird ein ehemaliger Reporter zum USA-Chef von CNN?
Hilfreich waren sicher meine internationalen Erfahrungen im Mediengeschäft, wie erwähnt bei AP, bei CNN, bei Turner Broadcasting, wo ich das Fernseh-Business von einer ganz anderen, der geschäftlichen Perspektive, kennengelernt habe. Das Geheimnis ist: In unterschiedlichen Märkten sowohl aus geschäftlicher Sicht, als auch in der Programmgestaltung unterschiedlich vorzugehen, sich den Bedürfnissen der Menschen in diesen Märkten anzupassen.
Ein Traumjob?
Es ist ein sehr herausfordernder Job, und ja: Er macht mir viel Spaß.
Zuletzt hat CNN 36 Prozent seines Marktanteiles verloren und ist deutlich hinter FOX und MSNBC zurückgefallen. Wie wollen Sie das wieder auf die Reihe kriegen?
Es gibt immer Phasen, in denen es einem Unternehmen besser geht als dem anderen. Aber: CNN ist ein weltweites Unternehmen. Wir konnten gerade im digitalen Bereich ein großes Wachstum verzeichnen. Wir haben in Indien Fernsehnetzwerke gestartet, Webseiten im Nahen Osten und Ableger in Japan. Wir verfügen derzeit über 25 markengeschützte CNN-Ableger weltweit. Wir sind also weiter gewachsen. Auch die Zahl der Angestellten ist gestiegen. Die von Ihnen erwähnte sinkende Quote bezieht sich auf die Primetime in den USA. Die macht aber nur ungefähr 10 Prozent unseres weltweiten Umsatzes aus.
Digitale Medien werden immer wichtiger. Wie ist Ihre Vision des Journalismus der Zukunft?
Jedes Medium hat sein Publikum, und dieses Publikum wird zunehmend anspruchsvoller, technisch versierter und mobiler. Es bezieht seine Nachrichten auf unterschiedliche Weise, es ruft sie auf Tablets ab, geht auf Websites, sieht Videos auf dem Smartphone. Das geht sogar im Flugzeug. Dieses Publikum will jene Nachrichten, die es interessant findet - und zwar nur jene! – wo es will und wann es will konsumieren. Deshalb müssen Medien in alle unterschiedlichen Plattformen – auch sehr aggressiv in Zukunftstechnologien - investieren, um sicherzustellen, dass das Publikum ihnen folgt. Man muss also die Inhalte gezielt an die Plattformen anpassen. Im Fernsehen sind journalistische Persönlichkeiten - Stimmen, Gesichter – besonders wichtig. Klassische Nachrichtensendungen – ein Moderator liest etwas vor, dann folgt ein Filmchen – funktionieren längst nicht mehr, weil die Menschen sich schon über Websites, Tablets und Twitterfeeds informiert haben. Heute brauchst du Interviews, Debatten, Hintergründe. In einem Wort: Wertschöpfung.
Wer ist Ihr Lieblingsmoderator, Ihre Lieblingsmoderatorin bei CNN?
Das ist so, als würde man eine Mutter fragen: “Welches deiner Kinder hast du am liebsten?” Also werde ich dieser Frage immer ausweichen und antworten: “Ich mag sie alle.” Am erfolgreichsten sind Anderson Cooper und Piers Morgan. Ich liebe Tage, an denen Wolf Blitzer aus Kairo berichtet, Piers Morgan aus Israel und Anderson Cooper aus dem Nordosten Japans. Oder wenn Charlie Sheen bei Morgan gebucht ist und nicht auftaucht.
Erzählen Sie.
Er kam einfach nicht, also konnten wir den Talk auch nicht promoten. Als Charly schließlich zehn Minuten vor Beginn der Sendung doch noch auftauchte, sandte Piers einen einzigen Twitterfeed an seine 500.000 Followers, was viele, viele Re-Tweets zur Folge hatte und nach den ersten 15 Minuten der Sendung hatten wir eine drei Mal so hohe Einschaltquote als sonst.
Welche Ziele hat ein CNN-President noch?
Weiterhin zu wachsen, unsere Marke zu schützen und zu pflegen und an journalistischen Grundwerten und Kernprinzipien festzuhalten. Denn auch für das erfolgreichste Medienunternehmen gilt: Der Erfolg steht und fällt durch die Geschichten. Die Grundlage für alles ist guter Journalismus, verlässlich und frei von Ideologien.
8. Mai 2011, erschienen im KURIER