Auf der Dachterrasse der Wiener „Urania“ geht gerade die Sonne unter, als Werner Kogler, in schwarzer Lederjacke, Jeans, dem blauen Hemd und der grünen Sonnenbrille im Haar, eintrifft. Im Saal unter der Kuppel fand kurz vorher die beratende Sitzung des grünen Bundespartei-Vorstands statt. „Man spürt noch immer die guten Schwingungen“, brummt der oberste Grüne zufrieden. Dem Steirer, der die Partei nach der großen Depression übernommen und zurück ins Parlament geführt hat, schlägt jetzt viel Vertrauen für die bevorstehenden Sondierungsgespräche mit der ÖVP entgegen, auch von der aufmüpfigen Basis. Nach dem zweistündigen „Krone“-Interview – Koglers Hang zur Weitschweifigkeit ist berüchtigt – geht’s rüber ins Badeschiff, wo die Wiener Grünen den Wahlsieg vom vergangenen Sonntag nachträglich feiern.^
Zum Empfang des Bundespräsidenten am Donnerstag sind Sie im Sakko gekommen. War das schon ein Zugeständnis an Ihre künftige Rolle – zum Beispiel als Vizekanzler einer türkis-grünen Regierung?
Nein, ich hätte mich beim Bundespräsidenten unwohl gefühlt mit aufgekrempelten Ärmeln und der grünen Sonnenbrille im Haar. Immerhin repräsentiert er die Republik als Staatsoberhaupt. Ich hab auch in der Vergangenheit öfter Sakko getragen. Einmal sogar Krawatte, aber das war aus Protest. – Lacht.
Haben Sie bei Ihrem Treffen den Wunsch herausgehört, dass der Bundespräsident das, was ihm als Grünen-Chef 2003 nicht gelungen ist, heute vollenden möchte? Also dass er sich Türkis-Grün wünschen würde?
Nein, wir haben das viel gegenwartsbezogener besprochen. Ob er es sich wünscht, ist eine andere Frage. Selbst wenn ich es aus seinen Worten herausgelesen hätte, dürfte ich es gar nicht sagen. Seine Vorstellungen sind ohnehin ganz eindeutig: Mehr Klimaschutz in Österreich!
„Mit dieser Schnöseltruppe streben wir keine Koalitionsregierung an“. Haben Sie im Wahlkampf wörtlich über eine mögliche Zusammenarbeit mit der ÖVP gesagt. Stimmt beides noch?
Ich stehe zu dem Zitat. Die Schnösel waren auf die Umgebung des Herrn Kurz gemünzt, weniger auf ihn selbst. Da wirken einige Leute wie einst der junge Karl-Heinz Grasser, ich habe es einmal „Vergrasserung“ genannt. Durchgestylt, modern, gehypt. Und ja, wir streben keine Regierung zum Selbstzweck an. Was wir schon wollen: Auf allen Ebenen das umsetzen, was uns wichtig ist. Dazu gehört auch eine mögliche Regierungsbildung. Nur müsste es so sein, dass sich ein gemeinsames Programm, vor allem, was Natur, Umwelt und Klima betrifft, deutlich von Türkis-Blau unterscheidet. Es müsste einfach spürbar anders sein.
Türkis-grün: Kann das gut gehen?
Wenn wir Politik mit zehn Feldern beschreiben und in fünf Feldern bleibt der Status Quo und in den anderen wird es grüner, dann Ja! Schwieriger wird es bei den Kompromissen, die sind nicht vermessbar, da muss man abwägen. Vielleicht geht irgendwo sogar was in die falsche Richtung. Aber dafür geht woanders viel mehr in die richtige Richtung. So müsste man das angehen. Schwarz-Grün, das haben wir gesehen, geht gut. Diese Modelle sind ein Leitmaßstab. Aber Türkis-Grün müssen wir schauen, das wissen wir nicht.
Man hat jetzt sehr oft von Vertretern Ihrer Partei gehört: Die ÖVP muss sich bewegen, bei der Klimafrage, bei der Migration, im Sozialbereich. Warum hat man noch nicht gehört, dass auch die Grünen sich bewegen müssen?
Weil sich das automatisch ergeben wird. Um die reine Lehre durchzusetzen, müssten wir mindestens 51 Prozent haben. Das ist nicht der Fall. Man muss schon sehen, dass Türkis 71 Abgeordnete hat und die Grünen 26. Ich glaube zwar, dass der Erfolg, von Null auf 26 zu kommen, dramatisch größer ist als ein paar türkise Abgeordnete mehr, trotzdem muss man das anerkennen. Im Übrigen haben die Türkisen gar nicht so viele großartige Grundsätze, denen ist das Image wichtig und das darf auch so sein in der Politik.
Wie elastisch sind Sie?
Ich sehe mich als Realpolitiker auf festen Fundamenten. Wenn man weiß, wo man herkommt und wo man hinwill, darf man schon elastisch sein. Auf diesem Weg muss man sich halt bewegen. Wir haben uns von Begriffen wie „Schmerzgrenze“ und „rote Linien“ befreit, es muss einfach anders sein.
Würde Österreich, wie die FPÖ im Wahlkampf gewarnt hat, mit Türkis-Grün nach links kippen?
Das weiß ich nicht. Ich glaube nur, dass diese Regierung so weit rechts stand, dass sie gar nicht nach links kippen kann. Eher schlägt das Pendel mit den Grünen wieder in die Mitte zurück.
Über die Grünen gibt es ja viele Klischees – von Haschtrafiken bis Sprachpolizei. Welches geht Ihnen am meisten auf die Nerven?
Uns wurde alles Mögliche zugeschrieben: Zeigefinger, Gutmensch, ich halte das alles für aufgelegten Blödsinn. Der hat nur deshalb Wirklichkeitscharakter erlangt, weil die Grünen sich das gefallen lassen haben. Die FPÖ hat einen ganzen Wahlkampf damit gemacht. Nur: Die blaue Law-and-Order-Partei hat ja im praktischen Leben viel mehr verboten als die Grünen. Sind die schon Verbotspartei genannt worden? Nein, obwohl sie ein Verbot nach dem anderen rausgehaut haben.
Wann hat die Rückbesinnung auf die zentralen Wurzeln bei den Grünen begonnen?
Das war im Februar 2018, da kamen wieder über 300 Leute zu unserem Kongress. Und drei Monate später ist Georg Willi in Innsbruck Bürgermeister geworden. Da er für grüne Verhältnisse sehr katholisch ist, haben wir es das größte Comeback seit Lazarus genannt. Ab da hat man gesehen, das kann funktionieren, das wird funktionieren!
Es hat auch bei der Wahl funktioniert. Sind Sie im Nachhinein Greta Thunberg oder H. C. Strache dankbarer?
Bei der FPÖ haben alle gewusst, dass wieder irgendwas passieren wird, das ist ein ewiges Rad. Ich habe gemeinsam mit Peter Pilz „Oppositonsbank, Regierungsbank, Anklagebank“ gedichtet. Aber dankbar? Wir hatten auch vor Ibiza schon einen sehr erfolgreichen Europa-Wahlkampf, unsere Leistung, vom tiefsten Stand auf den höchsten zu kommen, erzählt, wie man in der Literatur sagt, die Heldenreise. Du darfst schon einmal hinfallen, aber du musst auch wieder aufstehen und weiterkämpfen. Dazu hätten wir Strache mit Sicherheit nicht gebraucht. Und zu Greta Thunberg: Sie ist das Aushängeschild einer Bewegung,die passieren musste wie die Französische Revolution oder die Entstehung der Sozialdemokratie nach hundert Jahren Knechtschaft im Proletariat. Wäre diese globale Klimaschutzbewegung nicht entstanden, dann würden unsere Überlebensbedingungen auf diesem Planeten schwinden. An der Person Greta Thunberg hat sich die Bewegung entzündet und emotionalisiert. Sie erreicht – und das ist neu – die Kinder und die Jugend. Und das alles dank sozialer Medien, denn ohne sie würde Greta Thunberg heute noch allein in Stockholm auf der Straße sitzen.
War sie ein Glücksfall für die Grünen?
Ich sage ausdrücklich, dass um ihre Person ein völlig irrationaler Hype entstanden ist, und es wäre ein Irrglaube zu denken, dass sie alleine das ausgelöst hat. Aber natürlich war das ein großer Schwung für uns. Es hieß ja immer: Die Grünen reiten jetzt auf dieser Welle. Ja, das stimmt schon. Aber du musst eine Welle auch reiten können! Die anderen konnten das nicht, weil sie nie etwas getan haben oder das Gegenteil von Klimaschutz erzählt haben.
War es nicht übertrieben, als Greta Thunberg bei ihrer Rede vor der UNO gesagt hat, man hätte ihr die Kindheit gestohlen?
Ich fand ihre Wut sehr ehrlich. Sie hat sich ja laut gefragt: „Warum sitze ich auf dieser Seite des Atlantiks und nicht zuhause?“ Ich habe da einen Moment der Selbstreflexion erkannt, der Frage, ob es in ihrer Biographie einmal das Richtige gewesen sein mag, sich für diese Geschichte dermaßen aufzuopfern.
Aufopfern ist ein gutes Stichwort: Sie haben die Partei übernommen, als sie aus dem Parlament geflogen ist. War das damals Pflichtbewusstsein, das Sie angetrieben hat?
Nein, das war die reinste Überzeugung. Nur weil wir rausgeflogen sind, waren ja die Ideen und Visionen nicht weg. Es gab nach wie vor den Wunsch, das Bedürfnis, die Sehnsucht nach einem Ort des Aufgehobenseins in irrigen und wirren Zeiten, wo Natur eine so große Rolle spielt, nach einem Ort, an dem Menschen mit dieser Natur und nicht gegen sie leben können. Das war ja nicht weg. Politik ist immer die Verortung von Sehnsucht. Wir saßen damals auf einem Schuldenberg von fünf Millionen brutto. Wir haben das alles bis zum kleinsten Gläubiger auf Heller und Pfennig zurückgezahlt. Damals ist mir zugutegekommen, dass ich eigentlich Wirtschafter bin.
Ab nächster Woche sollen die Sondierungsgespräche beginnen. Wie ist eigentlich Ihr Verhältnis zu Sebastian Kurz?
Seit er den Reinhold Mitterlehner einpaniert hat, hatten wir kaum Kontakt. Erst rund um die Europawahlen hat sich herausgestellt, dass mit den Grünen wieder zu rechnen ist und wir haben kurze oder auch längere Gespräche geführt. Ich finde, er war ein sehr guter Integrationsstaatssekretär und es ist immer lustig, wenn ich ihm die Zitate von damals vorhalte. Okay, man kann natürlich sagen, die Welt hat sich verändert seit damals.
Mögen Sie ihn?
Das ist keine politische Kategorie. Diese Frage könnte ich Ihnen nicht einmal beantworten, wenn Sie mich das über einige Grüne fragen. Politik darf keine Ersatztherapie für Defizite im Familienleben sein.
Aber hilft Sympathie?
Sympathie hilft in den meisten Lebenslagen, aber sie kann auch trügerisch sein. Mehr werden Sie nicht rauskriegen von mir. – Lacht.
Kurz wurde schon als „Schwarze Witwe“ bezeichnet. Soll heißen, dass jeder Partner nach einer Koalition mit ihm tot ist.
Ich habe genügend politische Nahtoderfahrungen, insofern regt mich das überhaupt nicht auf!
Haben Sie das Gefühl, auf Augenhöhe mit ihm zu sein?
Ja, aber das hätte ich sogar, wenn wir gar keinen politischen Erfolg gehabt hätten. Das ist eine Frage von Selbstbewusstsein!
Wie muss man sich eigentlich den privaten Werner Kogler vorstellen? Kochen Sie vegan, sammeln Sie Kompost, fahren Sie Rad, umarmen Sie Bäume?
Also Bäume umarmen tu ich nicht. Alles andere schon. Ich koche, da ist oft etwas vegan, ohne dass ich es mir vornehme, weil meine italienische Pasta ohne Ei ist. In Graz fahre ich ein gebrauchtes Rad mit Einkaufskorb. Und Kompost zu sammeln ist für mich seit meiner Kindheit im Dorf selbstverständlich, ich bin derjenige, der beim Teesackerl sogar noch das Papier runterzupft!
Was waren Sie für ein Kind?
Wir hatten einen ziemlich rabiaten Pfarrer als Religionslehrer, er hat uns immer gezwungen, Bibelstellen auswendig runterzubeten. Dem habe ich mich widersetzt und dafür auch regelmäßig Fotz’n kassiert. Also eigentlich hatte der so ein Bambus-Staberl, mit dem er uns geschlagen hat.
Wo sehen Sie sich in 25 Jahren?
Wer weiß, ob ich dann noch am Leben bin, bei meinen gehäuften Unfall-Serien. Aber es regt mich auch dieser Gedanke nicht auf. Ich war ja nach einem schweren Motorad-Unfall drei Tage mehr drüben als hier. Und das verändert wirklich viel.
Was soll man einmal über Werner Kogler sagen?
Er hat nie aufgegeben.
6. Oktober 2019, erschienen in der KRONE