"Im Weltgugelhupf müssen Rosinen für
alle da sein"
Franz Küberl

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Osterspaziergang mit dem Caritas-Präsidenten: Am Hanslteich in Wien-Hernals brechen durch den Graupelschauerhimmel immer wieder kurz die Sonnenstrahlen durch. Der Duft von jungem Bärlauch liegt in der Luft. „Vom Eise befreit sind Strom und Bäche“, rezitiert ein der Kälte trotzender Franz Küberl Goethe, „durch des Frühlings holden belebenden Blick.“ Seit er dieses Gedicht kenne, habe es ihn nicht mehr losgelassen. „Welche Gaben muss jemand haben, dass er Auferstehung so dicht zu beschreiben imstande ist.“ Als sich am Ballhausplatz die Koalitionspartner an diesem Mittwochmittag gerade zu einem faulen Kompromiss zusammengerauft haben, reibt sich Küberl im wohlig-warmen Wirtshaus „Zum Herkner“ die Hände: „Die wissen, dass sie miteinander können und wollen gleichzeitig, dass sie miteinander nicht können. Das macht die Sache ja so schwierig.“ Ein spitzbübisches Schmunzeln huscht über sein Gesicht.
Bis das Essen und der Apfelhollersaft kommen, peckt der Caritas-Präsident übermütig ein Osterei auf. Als wir auf seinen schweren Unfall vor fünf Jahren zu sprechen kommen, auf die dramatische Lage in Tibet, auf die Armut in Österreich, auf das Flüchtlingsmädchen Arigona und den tieferen Sinn des Osterfestes, blicken seine Augen nachdenklich. Da passt es, dass sich der Caritas-Präsident bekreuzigt, als das gebackene Kitz serviert wird – fast ein feierlicher Moment.

Herr Küberl, nach wochenlangem Streit um den Zeitpunkt der Steuerreform hat die Regierung kurzfristig den Osterfrieden ausgerufen. Was denken Sie sich dabei?
Ich denke, dass es ein trügerischer Frieden ist. Und dass ohne Zweifel alle bisher genannten Termine für eine Steuerreform möglich wären. Die Diskussion darüber ist deshalb in Wahrheit ein Streit um des Kaisers Bart.

Worüber sollten die Regierungspartner stattdessen diskutieren?
Es gibt ein paar sehr ernsthafte Fragen, zum Beispiel die hohen Lohnnebenkosten – für Menschen, die wenig verdienen, ein schmerzvoller Einschnitt. Oder das sehr stark privatisierte Risiko der Pflege, das die Politik endlich absichern muss. Aber auch das Generalproblem, dass in Österreich Vermögenszuwächse keinen Beitrag zur Sozialpolitik leisten und hier immer wieder eine Schieflage entsteht. Die Politiker haben – für mich völlig unverständlich! – Angst vor den Reichen. Da gehört eine Wasserwaage des sozialen Ausgleichs angelegt.

Dabei schlagen zum Teil Reiche selbst Änderungen vor, wie der Bauunternehmer Hanspeter Haselsteiner, der einen Steuersatz von 80 Prozent für „absurd hohe Gehälter“ gefordert hat.
Haselsteiner ist ein exzellenter Unternehmer und ein sozialer Mensch, ein Beispiel dafür, dass es auch Starke gibt, die solidarisch sind.

Würde es Sie eigentlich reizen, einmal selbst Sozialminister zu werden?
Franz Küberl denkt lange nach, schüttelt aber währenddessen schon entschieden den Kopf. –Nein. Ich bin lieber ein produktives Gegenüber für alle Sozialministerinnen und Sozialminister.

100 Euro für jeden – war das eine gute Idee von Erwin Buchinger?
Als Einzelmaßnahme wäre es lächerlich. Als Teil eines ganzen Paketes könnte es, so wie der Heizkostenzuschuss, Sinn machen. Dahinter müsste die Zielsetzung stehen, dass sich auch Ärmere dieses Land noch leisten können.

Wie arm ist ein Land, in dem auch dieses Jahr wieder 178 Millionen Euro für Ostergeschenke ausgegeben worden sind?
Geschenke sind prinzipiell etwas Schönes, man will andern damit eine Freude bereiten. Die Frage ist nur, wie diese Geschenke verteilt sind. Wir haben in Österreich eine Gesellschaft, in der es beachtlichen Reichtum und Wohlstand, aber auch beachtliche Armut gibt – 459.000Menschen leben in Armut, 600.000 weitere Menschen sind armutsgefährdet, auch wenn die Wohlhabenderen das nicht gerne hören. Da existieren zwei Parallelwelten.

Sind diese Parallelwelten zusammenführbar?
Sicher, das muss die ständigeSorge eines Landes sein, das 1945 der Hölle entronnen und bis knapp unter den Himmel gekommen ist: Wie kann ein Grundmaß an Gerechtigkeit hergestellt werden?

Gibt es in Österreich Menschen, die „in der Hölle“ leben?
Es gibt jedenfalls viele, die der Hölle weit näher sind als dem Himmel. Das Generaldrama der Armut ist ja, dass die Bemühungen der Betroffenen, ihre Armut zu verbergen, sehr groß sind, weil sie Schuldgefühle haben, weil sie sich schämen. Es ist eine sehr große zwischenmenschliche Aufgabe, ein sehr weiterWeg, diesen Menschen die Hand zu reichen.

Wie?
Dafür gibt es eine simple Formel. Statt „Ich will das Beste für mein Kind“ sollte man auch das Beste für das Kind, das neben dem eigenen auf der Schulbank sitzt, wollen. Das hat sehr viel mit Ostern zu tun, dem Kernfest des christlichen Glaubens, mit vielen kleinen Auferstehungen, wo Menschen jenen, die Hilfe brauchen, die Hand reichen. Keiner kann sich ganz allein helfen, jeder braucht den andern. Das hat man sehr schön bei Matthias Lanzinger gesehen, der nach der Beinamputation geborgen war im Kreise jener Menschen, die ihn lieben, und deshalb diese unglaubliche Kraft ausgestrahlt hat.

Sie selbst haben das auch erlebt, als Ihr Leben vor genau fünf Jahren nach einem verhängnisvollen Sturz und einer Gehirnblutung sprichwörtlich am seidenen Faden hing. Welche Erinnerungen haben Sie an Ostern 2003?
Ich hab’ damals noch ein Kapperl getragen, das meine Narbe am Kopf verdeckt hat, und ich habe langsam wieder zu laufen begonnen. Der Unfall hat mir vor Augen geführt, wie schnell in einem Sekundenbruchteil alles anders sein kann. Ich fühle mich jetzt wie in der Spielverlängerung des Lebens.

Was hat sich verändert?
Ich nehme mir das Recht, Dinge anders zu betrachten, ich bin ja auf den Kopf gefallen. – Lacht. – Ich muss noch deutlicher denn je meinen Beitrag zur Waffengleichheit der Zustände weltweit leisten. Im Weltgugelhupf müssen Rosinen für alle da sein.

Die Ausschreitungen im Kosovo, die Todesopfer in Tibet: Da klingt Waffengleichheit wie ein Hohn.
Die Gewalt in Tibet ist der dramatische Beweis, dass es die Hölle auf Erden geben kann. Auch im Kosovo gilt, dass ich nicht einer Seite Perspektiven verschaffen kann und der anderen nicht. Es geht, egal wo auf der Welt, immer um die gerechte Verteilung von Lebenschancen.

Wenn Sie Weltpräsident wären, wie würden Sie in Tibet handeln?
Ich bin überzeugt, dass es sowohl in Tibet als auch in China gescheite Menschen gibt, denen eine Lösung des Problems zuzutrauen wäre. Diese Köpfe würde ich zum Dialog auffordern.

Sie haben als Caritas-Präsident ein Bleiberecht für Arigona Zogaj gefordert. Stehen Sie nach wie vor dazu?
Sicher! Weil  Arigona Zogaj Symbolfigur für einige Hundert Familien ist, deren Integration sinnvoll wäre und gerade die Freude über die Auferstehung sollte Politiker beflügeln, ein Zeichen zu setzen. Ostern wäre eine wunderbare Gelegenheit dazu.

Haben Sie das auch dem Innenminister gesagt?
Natürlich. Und er hat mich auch verstanden. Die Frage ist nur, ob er es so verstehen will, wie ich.

Herr Küberl, Sie sind auch ORF-Stiftungsrat: Was sagen Sie zum „Liebesdrama“ um Armin Assinger?
Ich hab’ das erst jetzt mitbekommen – der Caritas- Präsident sollte sein Wissen schließlich nicht aus den Klatschspalten beziehen. Ich hoffe, dass sie füranand kommen, alle drei.

23. März 2008, erschienen im KURIER