Wankender Euro, astronomische Schulden, Bomben gegen Banker: Die Finanzwelt steht Kopf. Im Interview mit Conny Bischofberger analysiert Nationalbank- Gouverneur Ewald Nowotny die Zukunft Europas.
Österreichische Nationalbank, fünfter Stock. Der Herr Gouverneur, wie in Österreich der oberste Banker der Nation genannt wird, lässt bitten. Moderne Kunst - Prachensky - steht in Konkurrenz zum Stil- Ambiente - Tapete in Goldtönen, Kronleuchter, goldene Wanduhr. "Ich sitz' immer beim Telefon", lächelt Ewald Nowotny (67), der es lieber ein bisschen weniger protzig gehabt hätte. Mal ist in diesen Tagen der Bundeskanzler dran, zuletzt am Freitag vom EU- Gipfel, mal die Finanzministerin, die den Ökonomen auch während unseres Interviews sprechen will. Nowotnys Krisen- Expertise ist sanft im Ton, aber sehr fest in der Sache.
Herr Gouverneur, diese Woche hat es die erste Bombe gegen den mächtigsten deutschen Banker, Josef Ackermann, gegeben. Wie deuten Sie das?
Ich glaube, Verrückte gibt es immer, damit muss man leben. Leider. Aber man hat auch gesehen, dass die Sicherheitsvorkehrungen funktionieren. Allerdings hatte ich gehofft, dass dieser Wahnsinn vorbei ist.
Ist es nicht so, dass - wie bei Occupy Wall Street - die Wut über jene, die über das Geld bestimmen, einfach explodiert?
Es hat sich sicher große Unzufriedenheit aufgestaut... Wenn ich von meinem Büro bei der Europäischen Zentralbank in Frankfurt hinunterschaue, sehe ich auf das Zeltlager, das die Leute von Occupy Frankfurt dort aufgebaut haben. Vorletztes Mal bin ich runtergegangen und habe mit denen gesprochen. Einige haben durchaus ernst zu nehmende Überlegungen. Andere wiederum sind Fantasten. Aber als Gesamtstimmung ist es etwas, das man ernst nehmen muss.
Sie selbst haben keine Angst?
Nein. Jeder, der in der Öffentlichkeit steht, ist gefährdet, aber der Grad dieser Gefährdung ist in Österreich Gott sei Dank doch zu vernachlässigen. Ich glaube, man muss auch achtgeben, dass man sich deswegen nicht einmauert, sondern mit den Menschen im Gespräch bleibt. Deshalb nehme ich am Wochenende, wenn ich als Privatmann unterwegs bin, auch absichtlich die U- Bahn, wo ich immer wieder angesprochen werde. Das ist für mich ein ganz wichtiges Korrektiv.
Was wollen die Leute da von Ihnen wissen?
Die häufigste Frage lautet: Soll man Gold kaufen? Das ist eine Frage, die ich nicht unbedingt schätze. Aber sie zeigt natürlich, dass es eine Verunsicherung gibt, eine Angst, die nicht zu leugnen ist. Gerade in solchen Gesprächen sieht man, wie tief das die Menschen bewegt.
Seit Freitag ist die EU nicht mehr dieselbe. Droht jetzt eine Spaltung?
Ich würde es nicht Spaltung nennen. Was wir jetzt sehen, ist ein Europa der zwei Geschwindigkeiten. Die haben wir ja schon in einigen Bereichen, zum Beispiel bei der Reisefreiheit nach dem Schengen- System. Ich halte es für besser, konkrete Fortschritte zu erreichen, auch wenn nicht alle 27 Staaten mitgehen, als sich nur auf den kleinsten gemeinsamen Nenner zu einigen. Der kann nämlich unter Umständen sehr klein sein. Und im Geld- und Währungsbereich muss man nüchtern sehen, dass einfach Großbritannien, das sehr stark vom Finanzplatz der City of London beeinflusst ist, hier in vielen Dingen grundsätzlich andere Positionen hat.
Was genau ist der Unterschied zwischen einem Europa der zwei Geschwindigkeiten und einer gespaltenen EU?
Eine gespaltene EU wäre eine, die bei wichtigen Institutionen keine Gemeinsamkeit mehr hätte. Aber die haben wir ja: Wir haben eine gemeinsame Kommission, wir haben ein gemeinsames Parlament.
Aber wir werden keine gemeinsame Wirtschaftsregierung haben.
Das war offen gesagt von vornherein keine sehr wahrscheinliche Perspektive. Was wir dagegen sehr wohl jetzt haben - und ich glaube, das ist ein Fortschritt, der am Gipfel erreicht wurde - ist eine engere Zusammenarbeit zwischen den Euro- Staaten.
Dieser Eurozone hat die Ratingagentur Standard & Poors mit der Herabstufung gedroht. Bleiben Sie bei Ihrer Meinung, dass das politisch motiviert war?
Ich glaube, das war ein Versuch, den EU- Gipfel von außen zu beeinflussen. Natürlich ist es nicht zu leugnen, dass wir erhebliche Wirtschaftsprobleme in Europa haben. Das wissen wir allerdings auch ohne die Ratingagentur. Diese Vorgangsweise, hier quasi alle Eurostaaten anzugreifen, war eher als spektakulärer Akt gedacht. Damit meine ich nicht, dass es hier eine Verschwörung gibt, sondern man muss einfach sehen, dass manche Ratingagenturen, statt Informationen zu liefern, immer stärker zu politischen Akteuren werden und politische Entscheidungen beeinflussen und das halte ich in einer Demokratie für sehr problematisch.
Herr Gouverneur, wie wird es jetzt weitergehen? Was wird in fünf Jahren sein?
Also, wie die Vergangenheit lehrt, ist es sehr riskant, fünf Jahre voraus zu schauen. Aber ich denke, dass wir diese Krise überwinden können, weil ein Umdenken eingesetzt hat. Wir wissen jetzt, dass Verschuldung Grenzen hat. Auf dieser Basis kann hoffentlich wieder Vertrauen in die Finanzwirtschaft entstehen.
Zerbricht der Euro?
Ich bin überzeugt davon, dass er nicht zerbricht. Weil das im Interesse der reichen UND der armen Länder ist. Ich hoffe nur, dass es nicht zu irrationalen Entwicklungen kommt.
Zum Beispiel?
Dass vernünftige Abmachungen aus Gründen eines Wirtschaftsnationalismus, aus Gründen von populistischen Fehlleitungen, letztlich nicht eingehalten werden.
Kommt es zu einer Rezession?
Ewald Nowotny nimmt einen Schluck Wasser und atmet tief durch. – Es kommt auf jeden Fall zu einer massiven Wachstumsverlangsamung. Ob es wirklich zu einem Schrumpfen kommt, kann derzeit noch niemand sagen. Aber eine Rezession - mit all ihren negativen Auswirkungen auf die Gesamtwirtschaft - ist nicht mehr ganz auszuschließen.
Sagen Sie uns - und sagen uns die Verantwortlichen - in dieser schweren Krise wirklich die Wahrheit?
Also ich kann jetzt nicht für alle sprechen. Aber ich selbst habe in meinem Leben gelernt, dass man mit Klarheit immer am besten fährt, und dass nur Klarheit eine Vertrauensbasis schafft. Und gerade für eine Notenbank, und auch für einen Notenbankgouverneur, ist es enorm wichtig, dass er Vertrauen genießt. Das ist für mich der höchste Wert überhaupt. Natürlich gibt es immer auch ein großes Ausmaß an Unsicherheit, weil man nicht alle Optionen kennt.
Also in diesem Moment, Freitag 13.16 Uhr, stimmt es, wenn Sie sagen: "Der Euro wird nicht zerbrechen."
Das ist meine absolut ehrliche persönliche Meinung.
Aber jeder, der auch nur mangelhaft rechnen kann, ahnt doch: Das kann sich alles nicht ausgehen!
Wir sprechen hier von großen Märkten, von internationalen Kapitalbewegungen. Da habe ich Größenordnungen, die alles übersteigen, was ich auf der einzelwirtschaftlichen Ebene erlebe. Richtig ist aber, dass wir in einzelnen Ländern Schuldenentwicklungen haben, wo man sehen hätte können, dass das nicht geht, und das müssen wir jetzt auf sehr harte Weise abarbeiten.
Kann das gelingen?
Doch, es kann gelingen. Aber man muss sich schon bewusst sein: Es gibt keine kostenlose Krise. Das heißt, es ist immer mit Mühen und auch finanziellem Aufwand verbunden, der sich dann in notwendigen Einsparungen oder zusätzlichen Belastungen zeigt. Es hat sich nur in der Geschichte immer wieder erwiesen: Es ist besser, solche Probleme rasch anzugehen, als sie anwachsen zu lassen. Dann ist die Korrektur nämlich sehr viel teurer.
Verstehen Sie Leute, die es ungerecht finden, dass die Banken alle Milliarden dieser Welt bekommen und ihnen selber wird, wenn sie 2.000 Euro im Minus sind, das Konto gesperrt?
Genau diese Diskussion hatte ich in der Zeltstadt in Frankfurt. Man muss aber sehen, dass die Banken der Blutkreislauf für eine gesunde Volkswirtschaft sind. Wenn also eine Bank zugrunde geht, ist das nicht nur das Problem der Bank, sondern auch das Problem aller jener, die dieser Bank ihr Geld anvertraut haben. Deshalb ist ihre Situation eine andere als das oft tragische Schicksal eines Einzelnen.
Was auffällt, ist, dass sich noch keiner hingestellt hat - zu 99,9 Prozent sind es übrigens Männer - der sich entschuldigt hätte für Fehler, die gemacht wurden.
Ja, diese Verantwortung auch von ganz konkreten Personen sollte man nicht übersehen. Das ist vielleicht zu wenig geschehen und daher kommen auch dieser Unmut und dieses Ungerechtigkeitsgefühl.
Ihr Lehrer war der Doyen der heimischen Wirtschaftswissenschaftler, Prof. Kurt Rothschild. Welche Worte würde er angesichts dieser Krise jetzt wählen?
Rothschild war ja immer sehr skeptisch gegenüber der Wirtschaftsentwicklung, wie wir sie haben. Ich glaube, er würde sich bestätigt fühlen in seiner Sicht, dass unser Wirtschaftssystem ein sehr instabiles ist.
Herr Nowotny, privat haben Sie ein ungewöhnliches Hobby, Sie sammeln Steine.
Naja, Steine... – Lacht. – Ich sammle antike Funde, das sind schon besondere Steine. Ich habe eine Sammlung von meinem Großvater geerbt. In der Pension will ich es einmal ordentlich katalogisieren und dann an meinen Sohn übergeben.
Ihr Lieblingsfund?
Ist eine kleine Statuette von Odysseus als Bettler, ein ganz wunderschönes Stück.
Stimmt es, dass Sie zu Hause derzeit noch einen zweiten Krisenschauplatz haben?
Ja, das ist korrekt. Meine Frau hat sich nämlich das Bein gebrochen, als tapfere Beamtin erst drei Wochen, nachdem sie in Pension gegangen ist.
Welche Krise ist Ihnen lieber?
Die zu Hause. Das Gipsbein wird rasch wieder gut. Bei der EU kann es länger dauern.
11. Dezember 2011, erschienen in der KRONE