Protzig ist falsche Ästhetik
Wolf D. Prix

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Er ist schlagfertig und hat Humor. Auf mein "Grüß Gott!" entgegnet "Wenn ich ihn seh' - gerne!" Und grinst. Statt Kaffee wünscht er sich Red Bull als Muntermacher: "Ich bin etwas müde nach den vergangenen Tagen." 8.000 Polizisten haben den Festakt bewacht, dem er als Architekt der gläsernen RZB- Türme (165 und 186 Meter hoch) am vergangenen Mittwoch beiwohnte. Zurück im gemütlichen Wien erscheint ihm die Vorstellung fast irreal.

Herr Prix, hat Sie das Bild der Frankfurter Skyline, hinter der schwarzer Rauch aufsteigt, im Nachhinein erschreckt?
Ich habe es so nicht erlebt… Es ist vielleicht die Medienwirklichkeit, dass Frankfurt plötzlich so ausgeschaut hat wie Bagdad. Ich habe auch keine brennenden Autos gesehen.

Weil Sie im Turm gesessen sind!
Ich muss ehrlich sagen: Ich war selber erstaunt, dass ich zum ersten Mal auf die andere Seite des Zauns gewechselt bin. Ich bin jetzt etabliert. So muss man es sehen. – Lacht.

Was war das für ein Gefühl, dass da plötzlich gegen etwas demonstriert wird, was Sie erschaffen haben?
Das wäre zu viel der Ehre, wenn sich die Demonstrationen gegen das Gebäude gerichtet hätten. Wobei ich den Anlass der Demos verstehe, die EZB ist nur das falsche Ziel.

Die Europäische Zentralbank ist ein Symbol des Kapitalismus. Die Demonstranten haben die Europahymne so gesungen: Sparen ist die Zauberformel, die jetzt ganz Europa eint. Macht die Reichen immer reicher, macht die Armen bettelarm.
Klar, dafür habe ich als Sozialdemokrat Verständnis, auch wenn es übertrieben ist.
Die Planungswerkstatt von Coop Himmelb(l)au ist in einem Ziegelbau im fünften Wiener Gemeindebezirk zu Hause. Wir sitzen inmitten von silberglänzenden Modellen mit tanzenden Silhouetten, vor Wänden, die mit Postern von Bauwerken tapeziert sind - aus Deutschland über den Sudan bis Aserbaidschan. Ein Video ohne Ton zeigt rote Roboter bei der Arbeit. Sie errichten gerade ein Museum in China, schneller und präziser als dies Bauarbeiter je könnten.

"Architektur muss brennen" – mit diesem programmatischen Satz haben Sie sich 1980 einen Namen gemacht. Muss Architektur brennen?
Das war ein Statement für die emotionale Qualität eines Gebäudes, für Architektur, die leuchtet, sticht, fetzt, erschöpft, blutet - und eben brennt. Wörtlich habe ich das natürlich nicht gemeint.

Nun ist aber gerade das eingetreten. Ist Ihr gigantischer Doppelglasturm in Zeiten, wo Länder wie Griechenland fast bankrott gehen und Kärnten bald einen Schutzschirm braucht, nicht eine unnötige Provokation?
Wissen Sie, wie viel das Gebäude wirklich gekostet hat?

1,3 Milliarden - statt der vorgesehenen 850 Millionen.
Ja, aber das sind nicht die Baukosten, sondern die Gesamtkosten, die wir nicht zu verantworten haben. Wir kriegen ja jede Menge Verantwortung delegiert, aber nicht die Macht, diese auch zu tragen. Das ist das Dilemna der Architekten heute. Aber ich will nicht abschweifen. Das Gebäude hat im Vergleich so viel wie zwei Eurofighter gekostet. Das sind diese rostigen Kampfbomber, die keiner braucht. Und wie viele EZB- Türme man bauen könnte mit dem Geld, das Griechenlands Reiche im Ausland bunkern, daran will ich gar nicht denken. Für mich sind Bauten, die Ausdruck kulturellen Denkens sind, sowieso unbezahlbar.

Aber bescheiden ist Ihr Turm nicht gerade… Eher etwas protzig.
Protzig ist falsche Ästhetik. Das ist ehrliche Ästhetik. Mein Turm ist selbstbewusst. Eine dreidimensionale Ikone der EU. Ein Gebäude, das man sich merkt. Das habe ich mit "brennen" gemeint. Ein Bauwerk brennt sich im Gegensatz zu einem Gebäude ins Gedächtnis ein. Und ich hoffe, dass es zu einem Zeichen für ein vereinigtes Europa wird.

Der Stararchitekt trägt grauen Tweed, dazu einen cremefarbenen Seidenschal. Am rechten Handgelenk zählt ein schwarzes Band seine Schritte und zeigt den Kilometerstand via iPhone an. "Ich hab' mir vorgenommen, pro Tag acht bis zehn Kilometer zu gehen, macht 12.000 Schritte." Und wenn er das Ziel nicht erreicht? "Dann flieg' ich nach Frankfurt und steig' die 45 Geschosse meines Turms hinauf", lacht Prix. Nicht alles, was er sagt, ist hundertprozentig ernst gemeint. Manchmal wird seine Ironie auch missverstanden.

Apropos 45 Stockwerke: Kann in Ihren Turm in Frankfurt einfach jeder hineinmarschieren?
Es sind zwei verdrehte Türme, verbunden durch einen dritten Glasturm, dazwischen sind Ebenen, wo man sehr schnell wechseln kann, von einem Turm zum anderen. Jemand hat sie mit einem Kristallriff verglichen, das gefällt mir gut. Es ist jedenfalls ein Hochhaus mit einer ganz anderen Geometrie, so wie die gotischen Kathedralen. Die haben auch eine andere Geometrie gehabt als alles, was vorher gebaut wurde. Natürlich ist es ein Hochsicherheitsgebäude. Die Angst spürt man auch dort. Aber wer durch die Sicherheitskontrollen gegangen ist, kann in Ausstellungen, in das Besucherzentrum, in ein Café gehen, alles Teil der früheren Großmarkthalle. Das Gebäude schaut innen - darauf bin ich wirklich stolz - fantastisch aus. Ein Arbeitsplatz für 2.600 Menschen, der ganz viel Atmosphäre hat.

Wirkt sich die Angst auf das Bauen aus?
Ja, weil Angst regressiv macht. Gerade in Deutschland sieht man, dass alles immer biederer wird. Das Gebäude der Hypo Alpe Adria ist da übrigens eine löbliche Ausnahme. Das ist dynamische Architektur, auf keinen Fall bieder.

Sie bauen auf der ganzen Welt mehr als zu Hause in Österreich. Denken Sie manchmal darüber nach, warum das so ist?
Ja… Und ich zitiere Hollein, der gesagt hat: Ich möchte nicht nur zum Ansehen dieses Landes etwas beitragen, sondern auch zum Aussehen. Aber ich bau' jetzt in Oberösterreich bald ein Brotmuseum.

72 Jahre und noch immer voll aktiv. Haben Sie nie Angst, dass Ihnen eines Tages die Ideen ausgehen?
Der Gedanke ist mir noch nie gekommen. Ideen zu entwickeln, ist ja ein kreativer Prozess. Ich vergleiche ihn gern mit einem Fußballspiel. Nehmen wir Barcelona. Da hat Guardiola Züge vom Eishockey, Basketball und Handball in den Fußball integriert. Und dann sind Leute wie der Messi gekommen, die das System unberechenbar gemacht haben für den Gegner. Genauso ist es in der Architektur auch. Alles geschieht in einer Supermannschaft.

Welche Rolle nehmen Sie da ein?
Viele. Man muss ununterbrochen die Rollen wechseln können. Trainer, Stürmer… Freilich, der Messi bin ich auch. - Er rollt seine eisblauen Augen.

Der Weltarchitekt als echter Teamplayer?
Na ja, ich bin vielleicht kein großer Lober. Man sagt mir nach, dass nicht schimpfen bei mir schon ein Lob sei. Aber ich kann mich wirklich freuen. Und mit meinem Team auch richtig feiern.

Gibt es etwas, was Sie sich manchmal noch wünschen?
Denkt nach. – Mein Vater war Architekt. Es gab viele Streitgespräche. Also ich würde gerne meinem Vater die Bauwerke zeigen.

Welches am liebsten?
Immer die letzten. Also das Museum in Lyon und die EZB- Türme in Frankfurt.

Was würde Ihr Vater dazu sagen?
Wenn ich das wüsste. Vielleicht gar nicht viel, weil er schon altersweise geworden wäre. So wie ich das hoffentlich auch irgendwann einmal bin.

22. März 2015, erschienen in der KRONE