Am Wolfgangssee sprach der damalige Bundeskanzler über Faulsein, Älterwerden und seinen Ort der Kraft.
Sie verbringen den August seit einem Vierteljahrhundert am Wolfgangsee. Was verbindet Sie mit dieser Gegend?
Die Gigi, meine Frau, hatte Freunde hier. So bin ich irgendwann auch mitgekommen und hängen geblieben. Es ist ja oft so im Leben, dass man von gewissen Plätzen nicht mehr loskommt, weil sie Orte der Kraft sind…
War Helmut Kohl, Ihr Nachbar in St.Gilgen, heuer schon da?
Helmut Kohl hat immer vis-a-vis, ein Stückchen weiter drüben am See, gewohnt. Aber seit dem Tod seiner Hannelore kommt er nicht mehr her. Zuletzt konnten sie nur noch in der Nacht schwimmen gehen – seine Frau litt unter einer Lichtallergie.
Heute schon im See schwimmen gewesen?
Heute noch nicht. Ich bin an sich kein guter Schwimmer. Wenn, dann geh ich gleich rein und weiß sofort, wie die Temperatur ist. Heute dürft’s 24 Grad haben.
Wo liegt die Schmerzgrenze?
Die Schmerzgrenze ist, wenn ich Gänsehaut krieg.
Segeln?
Mag ich. Das ist auch so ein schöner Anblick, wenn der Wolfgangsee übersät ist mit strahlend weißen Segelbooten. Wenn der Schuss zu einer Regatta ertönt…
Wie sieht so ein Tag aus, in dem die Politik gar nichts verloren hat im Leben des Wolfgang Schüssel?
Da höre ich schon um halb fünf Uhr morgens den Hahn krähen. Sieben stolze Hennen legen her prachtvolle Eier. Ich streichle unsere Katze Luna. Später beobachte ich die Schwalben in ihren Nestern, wie sie die kleinen, schreienden, hungrigen Mäuler mit Würmern und Insekten füttern. Ich freu mich über dieses Parallel-Universum, in das ich da eingetaucht bin, weit weg von der virtuellen Welt, in der ich mich sonst oft bewege…
Können Sie ganz ohne schlechtes Gewissen faul sein?
Sicher! Ich leg mich hin und schlafe von einer Minute auf die andere wie ein Stein. Es gibt Tage, da hab ich keine einzige Zeitung gelesen, keinen Fernseher eingeschaltet – goar nix! Das hier ist so ein Stück Normalität, das wir uns bewahrt haben, die Gigi und ich.
Normalität und Bundeskanzler – schließt sich das nicht aus?
Das ist eben die Kunst, nie die Bodenhaftung zu verlieren. Nicht abhängig zu werden vom Job; auf einmal draufzukommen: Halt, wenn man das Amt wegrechnet, dann bleibt nix mehr übrig!
Ist Ihnen das nie passiert?
Jedem passiert das, jeder ist gefährdet! Darum muss man gegensteuern, und das Leben, das ich hier führe, das schützt mich davor. Der Sommer ist für mich auch die einzige Zeit, in der ich Pläne schmiede.
Ärgern Sie sich eigentlich, wenn behauptet wird, der Kanzler wäre „eiskalt“?
Meine Eiseskälte, das ist so ein Schmähwort. Geprägt und oft wiederholt von der Opposition… Ich bin mir sicher, dass es nicht so ist – deshalb prallt das an mir ab. Außerdem: Man soll die Leute nicht für Dolme halten...
Können Sie sich im Urlaub so richtig übers Wetter ärgern?
Überhaupt nicht! Ich mag das, wenn es mal schön, mal regnerisch, mal trüb, mal strahlend ist. Nooteboom schreibt: „Das Leben ist nichts anderes als die ständige Wiederholung von Wolkenbildungen.“ Nicht auszudenken, wenn es immer strahlend wäre!
Warum Nooteboom?
Ich hab ihm in Salzburg den diesjährigen Staatspreis für Literatur verliehen.
Sie spielen im Sommer gern den Kunstminister…
Auch unterm Jahr! Aber im Sommer besonders. Weil das kulturelle Österreich da eine kleinere Weltmacht ist, ein heimlicher Kulturmittelpunkt. Und Nooteboom, dieser unermüdliche Prediger für die Erweiterung Europas, ist für mich eine der faszinierendsten Schöpferpersönlichkeiten der vergangenen 50 Jahre. Seine Sprachbilder bereiten mir persönlich großes Vergnügen.
Beschreiben Sie den vergnügten Wolfgang Schüssel!
Er ruht im Liegestuhl, liest einen schönen Satz, und den strickt er dann in Gedanken weiter. „Die Seelenwanderung findet nicht nach dem Leben, sondern während des Lebens statt“ ist so ein Satz. Da lasse ich die Seele wandern…
Schenken Sie uns noch eine kleine Lebensweisheit?
Die Neugier nicht verlieren, auch im hohen Alter nicht. Ich bin vom Sternzeichen Zwilling. Die müssen immer aus dem Vollen schöpfen, sonst vertrocknen sie.
Sie werden nächsten Sommer 60. Würden Sie gern noch einmal 40 sein?
Nein, weil es ein kindischer Wunsch wäre, das Rad der Zeit zurückzudrehen. Ich genieße mein Alter… Wenn man jung ist, glaubt man, aus einem Meer von Energie, Freude und Optimismus schöpfen zu können. Mit den Jahren lernt man, dass die Kräfte, die Zeit, der Einsatz nicht unendlich sind, man lernt, sorgsam damit umzugehen. Für mich hat jedes Lebensalter eine ganz eigene Melodie…
Wie hat diese Melodie vor 20 Jahren geklungen?
Wie so ein großes, lärmendes Orchester.
Und mit 60? Stolzes Solo?
Nein, das wäre einfallslos und fad. Mit 60 klingt es wie Kammermusik – kleine, feine Besetzung. Haydn, Mozart oder Dvorak.
Wo sind eigentlich Ihre Kinder?
Der Daniel kommt morgen. Meine Tochter Nina ist im Himalaya – Trekking!
Neidisch?
Wenn ich ehrlich sein soll: Ja. Ich war noch nie in Indien. Zu meiner Zeit wäre das undenkbar gewesen. Erstens hatte ich kein Geld – ich hab damals mit Karikaturen ein bissel was verdient. Und zweitens hätte es die Verbindungen auch gar nicht gegeben.
Hat der junge Wolfgang je Hasch geraucht?
Nie! Nicht einmal Zigaretten. Ich war ja Solist beim Knabenchor der Schotten, hab dort eine Gesangsausbildung gemacht. Rauchen hätt’ die Stimme ruiniert!
Wünschen Sie sich manchmal Enkelkinder?
Das zu sagen wäre ganz unklug und steht mir auch gar nicht zu…
Gibt es einen größeren Wert als Familie?
Freiheit, Gerechtigkeit, Fairness und Würde gehören dazu. Im gesellschaftlichen Kontext ist es zweifellos die Familie. Für mich ist der Werte-Zusammenhang wichtig.
Das Schönste, was Sie je mit eigenen Augen gesehen haben?
War die Geburt meines Sohnes. Das ist ein Moment, der sich für immer eingeprägt hat.
Wovor hat Wolfgang Schüssel Angst?
Ein bissel vielleicht vor großen Hunden. Da bin ich vorsichtig. Aber ich bin ja auch, wie jeder weiß, ein Katzenherrl…
Was wird von diesem Urlaub bleiben?
Ich habe wunderbare, faszinierende Menschen getroffen, viele Geschichten, darunter auch sehr persönliche Lebensgeschichten gehört. Das gibt viel Stoff zum nach- und vorausdenken.
15. August 2004, erschienen in der KRONE