Wehmut spür' ich kaum
Harald Serafin

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Adieu Mörbisch! Nach 20 Jahren verabschiedet sich  Harald Serafin mit der finalen „Fledermaus“ von der Seebühne. Im Interview spricht der Langzeit-Intendant der Seefestspiele über sein Lebenswerk, das seltsame Theater um seine Nachfolge und seine persönliche Zukunft.

Der Morgen nach der allerletzten Vorstellung: Ist die Wehmut sehr groß?
Wehmut spüre ich kaum, eher Stolz und Genugtuung. Ich leg’ mich ja jetzt nicht ins Grab. Aber vielleicht kommt die Wehmut ja erst in ein paar Monaten. Oder im nächsten Sommer, wenn ich nicht mehr im schönen Seehotel in Rust wohne. Ein wichtiger Lebensabschnitt ist zu Ende gegangen und macht mich frei für weitere Interessen und Abenteuer.

20 Jahre sind eine lange Zeit. Was kommt jetzt, Herr Serafin?
Der Zeitpunkt ist ideal. Die Fledermaus – Königin aller Operetten – war allerhöchstes Niveau. Reinprecht, Lippert, Kushpler, Fally, Lohner! Mehr Staatsoper auf die Seebühne zu kriegen geht nicht, ich hätte höchstens noch den Domingo und die Netrebko engagieren können. Ich mag auch  glatte Nummern. 80 Jahre alt, 20 Jahre Intendant. Und noch 20 Jahre Zeit, was anderes zu  machen.

Werden Sie jetzt Pensionist?
Das Wort Pensionist verpflichtet ja nicht, scheintot zu sein und die Hände in den Schoß zu legen.  Als Pensionist hast du die Möglichkeit, Tomaten zu pflanzen oder Rosen zu züchten oder Schifferl zu fahren, wenn du genug Geld hast. Ich würde gerne in den Kongo fahren, etwas ganz Konträres zu meinem bisherigen Leben machen. Schauen, wie das ist, wenn der Wind nichts als Sand bringt und die Menschen verhungern. Mein ganzes Leben lang war ich darauf erpicht, meinem Publikum dieses „Smile“ zu geben.  Vielleicht kann ich jetzt einmal helfen.

Ihre Begrüßungen in Mörbisch waren legendär. Wie haben Sie 6200 Besucher in Ihren Bann gezogen?
Ich habe jedem das Gefühl gegeben, ich hätte ihn persönlich angesprochen. Manchmal kamen Damen zu mir und sagten: „Wir sind in der 17. Reihe rechts gesessen.“ Und ich rief: „Ja, genau! Ich hab’ sie gesehen!“ – Lacht. – Wie ein guter Wirt, zu dem die Leute nur kommen, weil er ihnen das Gefühl gibt, er habe nur auf sie gewartet.

Sie haben auch bis zuletzt persönliche Einladungen verschickt.
1200 jeden Sommer, mit Tinte und Füller  und in persönlichen Worten geschrieben. Wer da nicht kommt, muss sich entschuldigen. Und wer entschuldigt sich schon gern, noch dazu beim Intendanten höchstpersönlich? – Lacht wieder. – Das beweist, dass man das Publikum packen kann.

Ist Mörbisch Ihr Lebenswerk?
Unbedingt. Ich hatte 1990 meine Stimme verloren und war selbstmordreif. Naja, zumindest an einem Tiefpunkt. Dann hat mir das Schicksal dieses Hölzchen geworfen. Mörbisch war damals ein Sandhaufen, mit Holzbänken bestuhlt und von Gelsen verseucht. Ich hab’ alles weggerissen und neu aufgebaut. Operette war damals noch so was Zweitklassiges. Aber ich habe dieses Genre immer geliebt. Diese herrlichen Melodien! Ich wusste auch, wie viel wunderbares, volksnahes, tiefes Empfinden in der Operette, dieser urösterreichischen Kunstgattung, steckt. Und ich glaube, diese 20 Jahre Überzeugungsarbeit für die Operette haben diese leichte und doch so schwere Kunstgattung "smokingreif" gemacht.

Woran erinnern Sie sich besonders gern?
An die Premieren. Jede Premiere war ein Höhepunkt. Da spielen die Hormone verrückt, da steigt das Adrenalin, du fühlst dich wie in Trance, alles bekommt Flügel... Es ist  echt orgastisch. Bei verregneten Vorstellungen ist den Sängern oft das Wasser aus den Schuhen rausgequollen, aber sie haben mit Lust und Gier und Eros zu Ende gespielt.

Was werden Sie jetzt machen ohne diese Höhepunkte?
Ich suche sie bei meiner Frau.

Eine  Frau wird nun in Mörbisch Ihre Nachfolgerin: Hat es nicht weh getan, gar nicht in diese Entscheidung eingebunden zu werden?
Mich hat es schon geärgert. Weil da alle möglichen Leute mitgeredet haben, nur keine Künstler oder Intendanten. Es war eine Art Schmäh-Kommission. Aber wie für alles im künstlerischen Bereich gilt auch dafür die von Helmut Lohner als "Frosch" so oft zitierte Unschuldsvermutung!

Wen hätten Sie sich gewünscht?

Für so eine in Wort und Klang ausgesprochen österreichische Kunstgattung auf alle Fälle eine österreichische Lösung.

Warum ist es dann Frau Schellenberger aus Sachsen geworden?
Das ist eine gute Frage! Manche müssen sie kolossal geliebt und andere wieder besonders geschätzt haben, und diese Leute müssen ihr dann offenbar in jeder Hinsicht auch kolossal behilflich gewesen sein. Vielleicht ist dieser „sächsische Merkel-ismus" in Mörbisch der kommende Charme-Trend und sogar von Erfolg gekrönt.

Ärgern Sie sich, dass Sie sie einst für Mörbisch engagiert haben?
Nein, gar nicht, sie war eine gute Sängerin - ohne jegliche Tendenz für eine austrophile Intendanz.

Im Flyer für 2013 kündigt sie „eine neue Ära“ für Mörbisch an, die „noch attraktiver, noch glanzvoller“ werde. Wie klingt das für Sie?
Zukunftsmusik! Nicht mehr meine Baustelle.

Herr Serafin, wie lange werden Sie denn jetzt Ruhe geben können?
Steckt sich kurz die Kuchengabel in den Mund und grinst. – Ungefähr so lange. Bis Weihnachten mache ich jetzt einmal gar nichts. Dann strecke ich meine Fühler wieder in alle Richtungen aus. Einen Typ wie mich braucht man vielerorts.

Wo sehen Sie sich in fünf Jahren?
Jetzt ist mein biologisches Alter 56. Mit 85 will ich auf keinen Fall älter sein.  Ich werde noch mehr trainieren und noch  besser auf meine Gesundheit achten. Ich will gesund sterben. Egal wo, nur nicht an Schläuchen.

Haben Sie eine Vorstellung vom Tod?

Jede Krankheit hat ihren eigenen Tod. Ich habe überhaupt keine Angst vor ihm. Wenn er kommt, dann soll er mich streichelnd mitnehmen. Und vielleicht ein Liedchen  dabei pfeifen. „Adieu, mein kleiner Gardeoffizier“.

Was bleibt von Harald Serafin?
Wenig. Vier CD’s. Viele Fernsehaufzeichnungen. Mein Buch "Nicht immer war es wunderbar". Und eines ist klar. Wie ich das Publikum geliebt, gestreichelt und beglück habe - das kommt alles zurück. Ich merk's schon jetzt.

27. August 2012, erschienen in der KRONE