"Wer so nah am Menschen ist, stellt sich nicht die Frage nach dem Glück"
Georg Sporschill

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Zwei Flugstunden von Wien, das ganz und gar im Weihnachtseinkaufsstress liegt, beginnt die Not. Im ärmsten Land Europas gibt es Menschen, die frieren und die Hunger haben. Hier wächst eine verlorene Generation heran. Kinder, deren Väter illegal auf Baustellen im Ausland arbeiten müssen, Mütter, die ihre Kinder nicht mehr ernähren können. Als vier Tage vor Weihnachten, am Tag, an dem in Europa die Grenzen fallen, eine weiße Citation des Tiroler Bauunternehmers Hans Peter Haselsteiner auf dem Flughafen der moldawischen Hauptstadt Chisinau aufsetzt, gibt es für diese Menschen wieder neue Hoffnung. Ein Polizeiauto des Innenministeriums lotst die Gäste aus Österreich wie einen hohen Staatsbesuch, mit Blaulicht und in Höllentempo, durch den trägen Morgenverkehr in die kleine, nordöstlich gelegene Stadt Pirita.

Es ist eiskalt; nach der Dürre des Sommers kam gleich der Schnee. Hier, nahe an der Grenze zur Ukraine, hat "Parintele Georgy", wie die Moldawier (die Mehrheit der Bevölkerung ist orthodoxen Glaubens) den Jesuitenpater Georg Sporschill hochachtungsvoll nennen, mit der Unterstützung Haselsteiners ein Kinderdorf gebaut, dem heute auch ein Sozialzentrum angeschlossen ist. Wo immer die beiden Männer auftauchen, werden sie freudig und ehrfurchtsvoll empfangen. Bürgermeister und Regionalpolitiker stehen habt acht, die Frau des Staatspräsidenten kooperiert hochoffiziell und eng mit den österreichischen Helfern. Kinder laufen auf den Pater und seinen Freund zu, nehmen ihre Hände, wollen wenigstens für ein paar Minuten auf dem Arm getragen werden. Jeden Abend beten diese Kinder für ihre Wohltäter – den Ausdruck "Sponsoren" für Leute wie Hans Peter Haselsteiner, aber auch Tausende österreichische Spender, hat Pater Sporschill verbieten lassen. Stattdessen steht im Gebetbuch seiner Schützlinge: "Lieber Gott, ich danke dir für den Engel neben mir." Viele Engel haben in Moldawien unter der Regie des Sozialpioniers und seinen hoch professionellen Teams ein dichtes soziales Netz geknüpft, das verwaiste Kinder und alte, verlassene Menschen auffängt. Weihnachten 2007 werden Pater Sporschills Schützlinge – die Zahl ist mittlerweile auf insgesamt 1000 angewachsen – wieder reich beschenkt. Eine Schule wird demnächst um- und ausgebaut, zwei neue Sozialzentren errichtet. Im Interview auf dem Flug von Moldawien zurück nach Wien spricht Pater Sporschill über Armut und Wohlstand, über das Feuer, das in ihm brennt und darüber, wie der morgige Heilige Abend für alle noch ein Fest des Friedenswerden könnte.

Pater Georg, warum hat gerade dieses arme Land, weggesperrt von Europa, Ihr Herz berührt?
Weil die Menschen in Moldawien ausgeschlossen sind. Rumänien musste seine Grenzen schließen, als es in die Europäische Union aufgenommen wurde. Es gibt keinen Austausch mehr mit den Nachbarn. Die Arbeitslosigkeit ist drückend. In diesem Jahr hat es kaum geregnet, da ist die Not noch größer. Und das ganz in unserer Nähe. Österreich sollte Moldawien zu einer Schwerpunktaktion machen, der Finanzminister die Spenden verdoppeln.

Es gibt Leute, die sagen, die Not bei uns ist groß genug, warum helfen Sie immer den anderen?
Das sagen nur Leute, die selbst nicht helfen. Wer hilft, macht keinen Unterschied. Die Welt ist nicht teilbar. Wir müssen handeln, wo die Not am größten ist. Das kann in der Nachbarwohnung sein oder in Moldawien, da spielt der Zufall eine große Rolle. Aber es ist nie eine theoretische Frage. Wenn ein Kind am Boden liegt, müssen wir es aufheben. Wer ein Leben rettet, rettet die ganze Welt.

Sie haben in Ihrer Anfangszeit drogenschnüffelnde Kinder aus der Kanalisation gezogen, wo sie gelebt haben, weil sie dort nicht erfroren sind. Gibt es solche Kinder noch?
In Moldawien gar nicht, in Rumänien kaum noch. Heute schickt uns das Jugendamt die Kinder, deren Eltern das Land verlassen, um das Notwendigste zu verdienen.

Sie sagen von sich selbst mit Stolz, dass Sie 1000 Kinder aus dieser elternlosen Gesellschaft haben. Wie ertragen Sie diese Verantwortung?
Ich habe als Jesuitenpater Armut gelobt und trotzdem genug, um 1000 Kinder zu ernähren. Ist das nicht wunderbar? Ich weiß nicht, ob man Verantwortung erträgt, ich weiß nicht einmal, ob man sie tragen muss, denn das alles klingt wie eine riesige Belastung. Wer selbst Kinder hat, weiß doch, dass sie nicht Belastung sind, sondern in erster Linie Freude.

Denken Sie sich nie: Was wird aus diesen 1000 Kindern, wenn sie einmal erwachsen sind?
Nein. Denn wenn ich mir darüber jetzt Sorgen machen würde, dann hätte ich ja nicht die Kraft, diesen Kindern zu helfen. Auch das ist keine theoretische Frage, sondern eine ganz praktische. Wenn ich im Fluss drinnen bin, dann werde ich einfach mitgerissen. Aber wenn ich mir vorher überlege, wie kalt das Wasser sein könnte und ob es vielleicht gefährlich ist, dann habe ich meine Kraft und Energie bereits verschwendet.

Wie schaffen Sie es, in diesem "Fluss" zu bleiben, sich nicht bremsen zu lassen?
Ich lasse mich immer wieder von diesen Kindern berühren. Das setzt eine unglaubliche Kraft frei. Ich merke, wenn ich lange nur am Schreibtisch sitze wie meine Kräfte nachlassen. Aber ich bin nur so stark wie meine Partner. Ohne den Bauunternehmer Hans Peter Haselsteiner, der die ganze Infrastruktur und Erfahrung mitbringt, hätte ich nie diese Häuser errichten können.

Steht zwischen Ihnen und dem Multimillionär nicht immer das Geld?
Doch. Aber Geld ist nur die Oberfläche, die durch Zeit und Spannung sehr schnell durchbrochen wird. Darunter verbirgt sich das wahre Verhältnis. Würde Hans Peter Haselsteiner nur spenden, um gut dazu stehen, dann hielte diese Beziehung Enttäuschungen und Überraschungen nicht stand.

Ist es Ihnen nicht manchmal peinlich, immer um Geld zu bitten, auch wenn es für die Armen ist?
Nein, da bin ich ganz kapitalistisch. Ich nehme ungeniert. Weil alles den Kindern zugutekommt. Für mich selbst hab' ich keine Reserven, und trotzdem führe ich ein tolles Leben.

Was denken Sie sich beim Anblick der Einkaufsschlangen zwei Tage vor dem Heiligen Abend?
Diese gestressten Shoppingmenschen tun mir leid. Ich bin froh, dass ich vom Geschenkwahn entlastet bin. Reichtum macht Menschen eigentlich arm.

Und Armut?
Selig die Hungernden, steht in der Bibel. Die Hungernden sind tatsächlich seliger als die Satten – wir sehen es an den Kindern in Moldawien. Diese Kinder haben ihre Eltern verloren, sie besitzen nur wenig, aber sie sind zufrieden, sie wünschen sich vielleicht ein Spielzeugauto zu Weihnachten. Welches Kind wünscht sich bei uns noch ein Auto?

Was könnten Wohlstandskinder, die sich iPhones und PlayStations 3 wünschen, von den Kindern in Moldawien lernen?
Alles. Ich wage zu behaupten, dass ein Austauschprogramm die klügste Sozialinvestition wäre, die Österreich tätigen könnte. Die Kinder des Salons treffen auf die Kinder der Hoffnung. Diese Kinder, denen geholfen wurde, kümmern sich mittlerweile um die alten, schwachen Mitglieder der Gesellschaft. Eine Art Generationenvertrag, ein Funke, der übergesprungen ist.

Was fehlt unseren Wohlstandskindern?
Aufgaben! Das Gefühl, ernsthaft gebraucht zu werden. Und zwar nicht im Sinne einer Beschäftigungstherapie denn diesen Unterschied spüren junge Menschen natürlich sofort. Sondern im Sinne von Erster Hilfe, dort,wo eben Not ist.

Gibt es diese Möglichkeit?
Ja. Volontäre, die zu uns nach Rumänien oder Moldawien kommen, sind nach ein paar Wochen geheilt – von Burn-out, Allergien und anderen Wehwehchen. Denn wer anpacken muss für Menschen in Not–da geht es nicht darum, ob man Lust hat oder nicht – , der hat keine Zeit mehr, sich selbst zu wichtig zunehmen. Der wird erstaunlich widerstandsfähig und lebenstüchtig.

Was bedeutet denn für Sie persönlich Weihnachten?
Es hat für mich mit dem schutzlosen Kind zu tun. Ich würde jedem raten, so ein Kind zu suchen, dann erst wird Weihnachten mit Sinn erfüllt. Das Kind kann auch 80 sein und in der Wohnung nebenan in Einsamkeit leben. Zu sehen, was dieses Kind braucht, zu spüren, was es in einem auslöst, das ist der wahre Sinn dieses Festes.

Wie verbringen Sie den Heiligen Abend?
In Rumänien, dort wo alles begonnen hat. Meine Pfarre sind die Straßen von Bukarest. Ich bin selbst ein Straßenkind geblieben. Am Abend haben wir 200 obdachlose Gäste in unserem Sozialzentrum, mit denen werde ich feiern. Mitternacht wanke ich dann in die Mette und feiere mit ein paar Hundert Kindern einen orthodoxen Gottesdienst.

Mit welchem Gefühl werden Sie einschlafen?
Ich schlafe meistens schon in der Mette ein, da ist es so schön warm. Betrunken vor …

Glück?
Nein. Betrunken von Emotionen, vom Mitgerissen sein. Wer so nah am Menschen ist, stellt sich nicht die Frage nach dem Glück. Ich hab' gar keine Zeit, darüber nachzudenken, ob ich glücklich bin oder was mich glücklich machen könnte.

Was würde Sie denn glücklich machen?
Wenn Sie nicht über mich, sondern über meinen Freund da drüben, den Dr. Haselsteiner, schreiben. Ein unglaublicher Mann der Tat. Einer, der nicht viel redet sondern einfach macht.

Was soll am Ende Ihres Lebens einmal übrig bleiben?
Ich hab' eigentlich nur einen Wunsch: Das alles mich überdauert, dass eine tolle Erfolgsgeschichte ihren Lauf nimmt, dass tausend Kinder einmal tausend anderen Kindern helfen.

23. Dezember 2007, erschienen im KURIER

Über den Wolken: Georg Sporschill beim Interview mit Conny Bischofberger