Was wird für Sex nicht alles riskiert
Karl Stifter

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Strauss-Kahn, Schwarzenegger  und die Erotik der Macht:  Sexualwissenschafter und Philosoph Karl Stifter hat da noch ein paar Fragen.

In der kleinen Praxis von DDr. Karl Stifter in einem Hietzinger Jahrhundertwendehaus dominieren Bücher, Masken und Kelim-Teppiche den Raum. Auf dem kleinen Tischchen neben den Lederfauteuils steht ein Strauß mit Windrosen. Da, wo sich normalerweise Männer und auch Frauen mit Sexualproblemen dem Therapeuten anvertrauen, sprechen wir an diesem Nachmittag über Dominique Strauss-Kahn und Arnold Schwarzenegger, über die verhängnisvolle Beziehung zwischen Sex und Macht. Stifter, dem Männerseelen vertraut sind,  tut dies mit auslandenden Handbewegungen und intensiven Blicken aus seinen blauen Augen. Und er argumentiert nicht so, wie man es vielleicht von ihm erwarten würde.

Der mächtigste Banker der Welt soll in einem New Yorker Luxushotel ein Stubenmädchen vergewaltigt haben, der ehemalige Gouverneur von Kalifornien hat ein Kind mit seiner Haushälterin und weitere Sex-Affären: Was bringt eigentlich Männer dazu, sich derart kopflos und beschämend zu benehmen?
Wenn wir kritisch auf unsere eigene Vita sexualis  zurückblicken, dann haben wir uns doch alle schon kopflos verhalten. Was wird für Sex nicht alles riskiert! Ungewollte Schwangerschaften, Aids, zerrüttete Ehen, ganze Existenzen. Es steht oft sehr, sehr viel auf dem Spiel. Und nun gefallen wir uns in der Boshaftigkeit zu sagen: „Das gönne ich dem!“ Oder: „Eh klar, wer hoch raufkommt, fällt tief.“ Dominique Strauss-Kahn und Arnold Schwarzenegger eignen sich hervorragend als Sündenböcke. Diesen beiden Männern hängen wir unsere eigenen sexuellen Unzulänglichkeiten und Kopflosigkeiten um.

Da klingt fast so etwas wie Verständnis durch. Bei DSK geht es immerhin um Vergewaltigung.
Bewiesen ist das ja noch nicht. Ich hatte, als ich die Bilder von Strauss-Kahn in Handschellen sah, schon stark den Eindruck, dass das puritanische Amerika an ihm ein Beispiel setzen wollte. Ich finde es schade, wenn Lustfeindlichkeit mit Moral verwechselt wird. Man hat ihn als Symbol missbraucht und eigentlich seine Würde verletzt. Sicher, er hat sich nicht würdevoll benommen. Wenn die Vergewaltigung stimmt, muss er ein extremer Psychopath sein. Ein erotomanischer, selbstzerstörerischer Lemming.

Dieser Mann könnte sich Sex ja auch kaufen, sogar sündteuren.
Es ist in der Tat wahnsinnig unverständlich, denn er schaut ja trotz seines Alters nicht schlecht aus und würde vermutlich Tausende Frauen finden, die mit ihm liebend gerne ins Bett gehen. Ich frage mich auch, warum das Stubenmädchen während dieses halbstündigen Intermezzos nicht auf den Gang gelaufen ist und Hilfe geholt hat? Was hätte sie riskiert?
 
Auch andern Mächtigen wurde Sex zum Verhängnis: Israels ehemaliger Staatspräsident Mosche Katsav ist wegen Vergewaltigung und sexueller Nötigung verurteilt, in Italien steht Premierminister Silvio Berlusconi wegen Sex mit einer Minderjährigen vor Gericht. Was machen Ruhm und Einfluss mit diesen Männern?
Für Frauen ist Macht erotisch. Aber umgekehrt träumt kein Mann vom Sex mit der Queen oder Angela Merkel. Wenn bei Mächtigen dann noch Charaktereigenschaften wie narzisstische Präpotenz dazukommen, dann wird es heikel. Mit Männern, die charakterlich nicht verfestigt sind, kann die Macht durchgehen, sie zu einer „unguided missile“ machen. Dann kommt die Würde abhanden. Von Friedrich Schiller stammt der Satz: Beherrschung der Triebe durch die moralische Kraft ist Geistesfreiheit, und Würde heißt ihr Ausdruck in der Erscheinung.

Warum vergessen Frauen, die der Erotik dieser Macht erliegen, Falten, Glatzen und sogar Bierbäuche?
Weil Macht eben eine der Hauptingredienzien der Erotik ist. Attraktivität ist für sie nicht so entscheidend. Zu Sexualität gehört immer dieses Spiel von Macht, von Besitz und Genommen-Werden. Potenz ist ja das lateinische Wort für  Macht und Mächtigkeit. Bei den Primaten ist die Erektion ein Macht- und Imponiersignal, und auch nach 600.000 Jahren ist der Homo sapiens noch immer stark in diesem Muster verfangen. 

 

Blockiert die Libido eines Mannes sein Denkvermögen?
Auch das einer Frau. Beim Mann sicher penetranter, weil bei ihm das aggressivere Triebhafte, ich sage mal das Hengstische, dazukommt. Wir machen es uns ja leicht. Wir sitzen hier und reden nüchtern über Sexualität. Aber der Zustand hochgradiger sexueller Erregung ist ein emotionaler Ausnahmezustand, da werden mächtige Emotionen gebündelt, da sind wir zeitweise nicht mehr bei klarem Verstand. Ohne das Überwältigt-Werden gäbe es keine leidenschaftliche Sexualität. Natürlich kann ich auch daliegen und ans Vaterland denken, aber eine geile Sache ist das nicht, oder?

„Strauss-Kahns Fall geht ans Abgründige“, schreibt der Spiegel. Können Sie uns die geheimnisvollen Muster von Erotik und Macht erklären?
Geheimnisvoll und mystisch ist das Zusammenwirken von Sexualität und Macht immer, Sex und Macht sind untrennbar miteinander verbunden, wie ein gegenseitiger Turbo-Booster. Männer sind dabei stark auf optische Reize angewiesen, sie müssen aufgegeilt werden, um zu erigieren. Vielleicht hat die Luxushotel-Kette Sofitel deshalb den strengen Dresscode für Stu-benmädchen – das Tragen eines Minirockes war bisher Pflicht – geändert. Frauen hingegen würden die Porno-Industrie – die insgesamt mehr umsetzt als Hollywood – nicht am Leben erhalten, sie werden nicht vergleichbar durch männliche Genitalien erregt, sonst wären die Frauenzeitschriften voll davon.
 
Anne Sinclair ist sofort zu ihrem Ehemann Strauss-Kahn nach New York geflogen. Können Sie diese Loyalität nachvollziehen?
Ich denke mir, es könnte eine ganz einfache Erklärung für Anne Sinclairs Verhalten geben, die uns allen sehr imponieren würde. Sie heißt Liebe. Wenn das ihr Motiv wäre, dann achte ich sie. Liebe ist ja nicht berechnend, denken wir nur an unsere Kinder oder Partner, was machen die für Probleme und wir stehen trotzdem zu ihnen.
  
Was ging durch Ihren Kopf, als Sie von Arnold Schwarzeneggers außerehelichem Sohn gehört haben?
Ich hatte an dem Tag einen Patienten bei mir, der kürzlich erfahren hat, dass sein zwölfjähriger Sohn nicht sein leibliches Kind ist ... 13 Prozent aller Väter in Österreich sind nicht die biologischen Väter ihrer Kinder. Und wie viele Schwangerschafts-Abbrüche es gegeben hat, von denen die Welt nichts erfährt, weil es sich eben um Seitensprungfolgen gehandelt hat, kann ich natürlich nicht sagen.  Ich dachte mir deshalb, dass wir auch hier vielleicht nicht die ganze Geschichte kennen.
 
Sie sind sehr milde.
Ich versuche nicht, milde zu sein, sondern gerecht. Gerade auf sexuellem Gebiet sind wir sehr verletzlich, auch sehr leicht fehlbar. Viele, die das sexuelle Verhalten anderer skandalisieren, finden Sexualität an sich skandalös, und dann hätten die 68er-Jahre nichts gebracht. Als jahrzehntelanger Therapeut habe ich mir angewöhnt, mit Urteilen sehr vorsichtig zu sein. Jeder sollte sich selbst die Frage stellen: Warum freut mich das so, dass Strauss-Kahn jetzt überführt ist, dass Schwarzenegger für seine Fehltritte büßen muss? Warum interessieren mich diese Fälle mehr als die Kernschmelze von Fukushima, die Toten in Syrien oder die Wirtschaftskrise?
 
Ist der Eindruck richtig, dass Sie lieber Fragen stellen als Antworten zu geben?
Niemand ist weiter von der Wahrheit entfernt als derjenige, der alle Antworten weiß. 
 
Sie sind seit Ewigkeiten verheiratet. Was weiß einer nach 35 Jahren Ehe von Sex?
Lacht. –  Tja ich bin ja genauso lange Sexualtherapeut. Also da kommt schon einiges an Erfahrungen zusammen. Meine Frau und ich sind seit unserem 15. Lebensjahr ein Paar. Damals war ich ein armer Bauernbub, sie die Tochter einer angesehenen Familie. Eines Tages hab’ ich schüchtern angeklopft an ihrer Villa, um sie zum Tanz zu holen. Das wurde verboten, worauf ich sie entführt habe. Daraufhin ist sie von zu Hause rausgeflogen, ich musste für sie sorgen. Also ist das zwischen uns eine Lebenssymbiose. Wenn noch dazukommt, dass man sich sehr liebt ...

Kann Sexualität drei Jahrzehnte überdauern?
Je älter die Männer werden, umso geschickter müssen die Frauen sein ... Sexualität wandelt sich mit den Jahren. Es steht dann eben mehr die Intimität, die psychische Nähe im Vordergrund. Natürlich hat es auch in unserer Ehe Blitz und Donner gegeben, aber wir haben immer wieder zusammengefunden. 

29. Mai 2011, erschienen im KURIER