Starköchin Sarah Wiener über ihre Heimatstadt, H. C. Strache und warum Kochen eine höchst politische Sache ist.
In einem Kuschelpullover und Jeans sitzt Sarah Wiener, versteckt hinter dem KURIER, im Café Engländer. Manchmal runzelt sie die Stirn, dann lacht sie wieder ihr herzhaftes Lachen. Die berühmteste Köchin des deutschen Fernsehens, hierzulande vielfach plakatiert mit ihrem Bio-Apfelstrudel, isst einen riesigen Teller mit Powidltascherln. „Da könnt’ ich mich reinsetzen, so köstlich sind die.“ Der Wiener Charme ist ihre Trademark. Im Gespräch mit Conny Bischofberger schreckt Sarah Wiener auch nicht vor uncharmanten Aussagen zu den Wiener Wahlen zurück.
Frau Wiener, wären Sie heute auch eine preisgekrönte Köchin, wenn Sie Sarah Huber hießen?
Gute Frage. Viele glauben ja tatsächlich, ich hätte mir den Namen aus Cleverness zugelegt. Wegen der Wiener Küche, dem Charme der Wienerin und so. Dabei war der Wien-Bezug lange sehr weit weg. Und ich bin immer schockiert, wenn ich nach Wien komme und die Leute sagen Piefke zu mir.
Ihre Karriere begann, als Sie mit 17 aus dem Wiener Internat getürmt sind.
Ich wollte Schäferin werden. Deshalb bin ich nach Frankreich gegangen und habe mich irgendwie durchs Leben gewunden. Ich dachte, ich sei was Besonderes. Aber am Ende war es eine starke Demütigung, zu sehen, dass ich nix dafür getan hatte – kein Schulabschluss, keine Berufsausbildung. Dann hab’ ich ein Kind gekriegt und hatte nicht mal Geld für Windeln. Ich dachte wirklich mit 23, dass mein Leben gelaufen sei.
Was war dann der Wendepunkt?
Mein Sohn Artur. Ihm habe ich zu verdanken, dass ich mich aufgerafft, Ehrgeiz entwickelt habe. Dann fing ich an zu kochen, weil es das Einzige war, was mir Freude gemacht hat und was ich noch am besten konnte. Aber nicht mit dem Ziel, was zu werden, reich zum Beispiel, oder Erfolg zu haben. Ich wollte etwas finden, was mir Spaß macht und meinen Sohn ernährt. Erst vor ein paar Tagen hat mir meine Mutter gesagt, dass auch sie in jungen Jahren als Köchin in Restaurants und Hotels gearbeitet hat. Da fügt sich ein Puzzle zusammen. –
In diesem Moment betritt Lore Heuermann das Café „Engländer“. „Mütterchen, du kannst dich gern zu uns hinsetzen“, sagt Sarah Wiener.
Wie schmeckt Wien?
Nach Powidltascherln und Topfenknödeln. Durch meine Dreharbeiten in Österreich hab’ ich aber noch eine ganz andere, unbekannte österreichische Küche kennengelernt. Das Gruabnkraut aus der Steiermark zum Beispiel oder der Riebel, das „weiße Gold“ von Vorarlberg. Köstlich! Auch die Tiroler Breznsuppe, das sind alte, eingeweichte Brezn in einer Rindssuppe, überbacken in einer feuerfesten Schüssel mit Tiroler Speck, Zwiebeln und Graukäse.
Ist das nicht ein bissel deftig für eine Starköchin?
Im Gegenteil. Ich mag keine in Quadern ausgestochenen passierten Sößchen, die sich als Leberentenwürfel an Kresse-Basilikum-Schaum mit schwarzem Sesam entpuppen, auf dem ich dann rumlutschen soll! Ich hab’ nicht viel Konservatives, aber beim Kochen bin ich sehr wohl konservativ. Mit meinem eigenen Dreh natürlich.
Schon immer?
Meine Mutter hat mir vor ein paar Tagen erzählt, dass ich schon immer stur beim Essen gewesen sei … Mäkelig, mit ausgeprägtem eigenem Geschmack. Ich war auch schon als kleines Kind Vegetarier. Ich ess’ bis heute wenig Fleisch, das hat zu allererst ethische Gründe.
Haben Sie „Tiere essen“ gelesen?
Natürlich. Man muss dieses Buch lesen! Dann wird einem so klar, dass das Elend nicht verschwindet, nur weil ich die Augen zumache. Aber so, wie wir auch nicht wissen wollen, wie Oma und Opa im Heim leben oder wie’s den Menschen auf der Intensivstation geht, wollen wir auch nicht wissen, wo unser Fleisch herkommt. Das ist ein Drama.
Tun Sie als Protagonistin da genügend?
Da kann man nie genügend getan haben. Ich bin Schirmherrin bei „Artgerechte Tierzüchtung“. Meine Küchenchefs und ich sind stets auf der Suche nach Lieferanten, die es uns ermöglichen, sämtliches von uns benötigtes Fleisch aus artgerechter Haltung zu beziehen. Die letzten 30, 40 Jahre sind wir beim Essen vom rechten Weg abgekommen. Wir waren so begeistert, was alles möglich ist, dass wir vergessen haben, was überhaupt moralisch zulässig ist.
Was ist unzulässig?
Dass wir 300 Gramm Fleisch am Tag essen zum Beispiel! Es geht doch längst nicht mehr um Lebensmittel, um Lebewesen, sondern um wirtschaftliche Ziele, um Technikbegeisterung, um Effizienz. Motto: Wir müssen noch mehr Fleisch produzieren, weil wir dann noch mehr verdienen. Was ist das für ein Genuss, der mit Leid verbunden ist? Wenn ich ein Stück Fleisch von einem gequälten, zwangsgemästeten Hybridhuhn mit kupierten Schnäbeln habe oder von einem Schwein, dem der Schwanz abgeschnitten wurde, die Hoden ohne Betäubung herausgeschnitten werden, dann brauch’ ich doch nicht über Geschmackskultur reden. Das ist mehr als barbarisch.
Sie bringen schon kleinen Kindern in den deutschen Kitas das Kochen bei. Mit welchem Ziel?
Wir verbinden ihnen die Augen, machen Geschmacksspiele, bringen ihnen zum Beispiel den Unterschied zwischen natürlichem und künstlichem Erdbeerjoghurt näher. Und zeigen den Kindern, wie man kocht: Da passiert etwas Magisches, das duftet und das schmeckt! Das stärkt auch ihr Körpergefühl und das Vertrauen in den eigenen Geschmack.
Sarah Wiener, der Jamie Oliver von Deutschland?
Ich mag Jamie sehr gern, er ist ein smarter Junge, mittlerweile hat ihn der Erfolg und das Alter allerdings etwas feist gemacht. Er macht tolle Projekte, aber etwas grundlegend anderes. Jamie Oliver hat das Schulkantinenessen geändert. Ich versuche, den Kindern etwas aktiv in die Hand zu geben. Auch weil es schon sehr früh die Individualität fördert. Das Industrieessen normiert nämlich den Geschmack und das Essen. Dem muss man etwas entgegensetzen. Man muss auch wissen, dass jede Kaufentscheidung politisch ist.
Apropos politisch: Haben Sie bei den Wiener Wahlen letzten Sonntag Ihre Stimme abgegeben?
Ich besitze zwar einen österreichischen Pass, aber ich fände es nicht okay zu wählen, da ich ja in Deutschland lebe. Natürlich habe ich den Ausgang verfolgt. Es ist traurig, dass keiner diesen Strache bremsen kann. Offensichtlich hat die Regierung ordentlich was falsch gemacht!
Wer ist ausländerfeindlicher, Berlin oder Wien?
Schwer zu sagen, gefühlt ist es Wien, obwohl hier jeder ausländische Wurzeln hat. „Heim ins Reich!“ – das hab’ ich in Wien nicht nur einmal gehört.
Was macht Berlin besser?
Ich weiß nicht, ob es in Berlin vorbildlich läuft. In Deutschland gibt es halt diese Buberl- und Vetternwirtschaft nicht. In Berlin muss ich nicht mit jedem gut Freund sein. Wenn ich in Wien „Sie Arschloch“ sage, dann kann ich auswandern.
Warum wird in Deutschland viel offener über Integration diskutiert?
Weil Integrationspolitik ein anerkanntes Thema ist. Hier wie dort fehlen aber die Galionsfiguren, die sagen: Halt, Stopp, das ist ein Irrsinn! Wo sind die Visionäre? Die Charismatiker, denen die Gesellschaft wichtiger ist als eigener Ruhm und das eigene Geldbörsel. Aber warum soll’s in der Politik anders zu gehen als bei der Ernährung. Im Übrigen darf ich das alles sagen, weil ich nur eine kleine dumme Köchin bin.
Ist das jetzt Koketterie?
Ja, denn ich bin 1,75! Und Köchin hab’ ich auch nicht klassisch gelernt.
17. Oktober 2010, erschienen im KURIER