Auf dem Grabstein? Nur Zilk
Helmut Zilk († 24.10.2008)

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Kurz vor seinem 80. Geburtstag zog der Wiener Altbürgermeister Helmut Zilk († 24. Oktober 2008) in diesem Interview Bilanz über sein Leben.

„Ich hab’ ein bissel Angst vor den ganzen Feierlichkeiten“, meinte der Fernseh-Pionier und Vollblutpolitiker damals, „am liebsten würde ich ja mit Dagmar durch Paris bummeln, so wie bei meinem 75er.“ Dem ganzen Rummel einfach davonfliegen.  Über seine geliebte Dagmar Koller sagte Helmut Zilk bei dem Gespräch: „Sie ist der letzte noch verbleibende Inhalt meines Lebens.“
Über den Komödianten Vicco von Bülow habe er gelesen, dass dieser regelmäßig mit seiner Frau über Friedhöfe spaziere, „um sich schon mal an das Gefühl zu gewöhnen“. „Also ich brauch’ keinen Friedhof, um mich dran zu gewöhnen, dass ich einmal sterben muss.“ Das sei eine Realität, mit der er seit Jahren rechne.

80 Jahre, wozu darf ich da gratulieren, Herr Dr. Zilk?
Sicher dazu, dass ich überhaupt noch lebe. Denn in Wahrheit bin ich dem Tod ja schon drei Mal von der Schaufel gesprungen. Einmal, als mich ein armer Irrer auf dem Rathausplatz abstechen wollte. Das zweite Mal, als ich den Brief mit der Bombe geöffnet habe. Und das dritte Mal vor einem Jahr, als mein Herz versagte.

Ist es Ihnen unangenehm, über den Tod zu sprechen?
Überhaupt nicht. Ich habe keine Angst mehr vor dem Tod. Ich glaube, nur wenige Menschen haben Angst vor dem Tod. Sie haben vielmehr Angst, den Tod in unwürdiger Form zu erleben. Schmerzvoll, leidvoll, hilflos. Oder, das ist das Schlimmste, einsam. Es gibt nichts Traurigeres als Einsamkeit. Ich bin jetzt 80 und nicht einsam. Das ist wohl das Wundervollste, was ein Mann im Herbst seines Lebens von sich behaupten kann.

Wie geht es Ihnen gesundheitlich?
Den Umständen entsprechend sehr gut. Aber die Kontrastmittel bei der Herzoperation haben meine Nieren total zerstört. Mein Lebensplan richtet sich nach der Dialyse. Meine Termine, meine Theaterbesuche, meine Freizeit. Alles wird rund um die Dialyse herum organisiert.

Wie muss man sich das vorstellen?
Jeden Dienstag, Donnerstag und Samstag fahre ich ins Wilhelminenspital und lege mich neben die Blutwaschmaschin’, wie ich sie nenne. Da hörst du nur die trägen Pumpbewegungen und kannst beobachten, wie dein Blut auf die Reise geschickt wird. Im Schläucherl von Dir weg, durch die Waschmaschin’ und wieder zurück. Meistens lese ich Zeitung. In dreieinhalb Stunden kann man viele Zeitungen von vorn bis hinten durchlesen.

Welche Gedanken gehen da durch Ihren Kopf?
Da kommt immer wieder dieses Gefühl, dass die Medizin stärker ist als mein Körper. Ich lebe ein geborgtes Leben. Wenn es diese „Waschmaschine“ nicht gäbe, dann hätte ich kein Lebensrecht mehr. Das ist ein Gedanke, der nicht leicht zu ertragen ist. Er macht mich dankbar, demütig. Aber sicher nicht heiterer.

Sie sitzen mir gegenüber ohne den Krawattenhandschuh, der normalerweise Ihre linke Hand verdeckt.
Zu Hause nehme ich diesen Handschuh ab, ich trage ihn nur, wenn ich weggehe. Da verberge ich diese Hand – der Großteil ist ja nur noch ein Klumpen Fleisch – unter einer Handschuhkrawatte. Ich will den Leuten diesen Anblick ersparen.

Mögen Sie diese Hand?
Nein. Ich wollte sie amputieren lassen, um mir diese schrecklichen Operationen zu ersparen, ich war ja oft besinnungslos vor Schmerz. Ich habe mir gedacht: Amputieren ist einfacher. Aber Dagmar meinte: „Nein, du bist ein Mensch, der es gewöhnt ist, mit den Händen zu sprechen.“ Und damit hat sie Recht gehabt. Dieser Teil meiner Hand ist ein fixer Bestandteil meines Lebens geworden. Der Aufwand und die Schmerzen haben sich gelohnt.

 

Können Sie die linke Hand benutzen?
Meist hängt sie belanglos nach unten, aber gelegentlich benutze ich sie doch. Ich kann mit dem verbliebenen kleinen Finger heute viel machen, obwohl er ganz steif ist. Ich kann ihn benützen wie einen Schraubenzieher. Wenn man sich einstellt, kann man auch fast alles lernen.

Alles außer Schuhe binden.
Genau. Dabei bin ich ein Mensch, der leidenschaftlich gern Schnürschuhe trägt. Das ist das einzige Demütigende. Schnürschuhe kann ich nicht mehr tragen, denn um solche Schuhe zu binden, braucht man zwei Hände. Diese Hilflosigkeit macht mich oft wütend. Dann bricht mein Jähzorn durch. Wenn ich allein bin, leiste ich mir das auch und schreie ganz laut. Das erleichtert.

Was kommt nach der Wut?
Die Vernunft: Der liebe Gott hat mir zwei Hände gegeben, so wie er mir zwei Lungenflügel und zwei Nieren gegeben hat. Aber wir können auch mit einem Lungenflügel leben, mit einer Niere. Und mit einer Hand.

Fragen Sie sich manchmal, warum das Schicksal Sie in dieser Weise getroffen hat?
Ich glaube, wenn die Bombe mich nicht erwischt hätte, wenn mein Herz nicht versagt hätte, dann wäre etwas anderes passiert. Es hätte etwas passieren müssen. Denn in der Zeit vor der Bombe war ich in einem fürchterlichen Zustand. Gestresst, gehetzt, ich habe ungesund gelebt. Die Dagmar hat oft gesagt: „So kann es nicht weitergehen.“ Ich hatte mich damals über alle Maßen verausgabt. Wenn man so will, dann hat das Schicksal mir einen neuen Weg gewiesen.

Trotzdem haben Sie nach der letzten Operation nicht Schluss gemacht mit Ihrem Arbeitsleben.
Das hätte ich nicht können. Ich liebe meinen Job bei der Wiener Städtischen, als Aufsichtsratsvorsitzender, seit 24 Jahren. Und ich bin mit Leib und Seele Ombudsmann der Kronen Zeitung. Ich glaube, der Mensch soll arbeiten, solange es geht, das ist das Schönste. Es ist die beste Freizeitgestaltung und die gesündeste. Ich glaube, wenn ich nicht gefordert würde, wäre ich in drei Stunden tot.

Wenn Sie zurückdenken in die Zeit Ihrer Jugend, welches Erlebnis hat den Menschen Helmut Zilk am meisten geprägt?
Das war sicher jener Moment im Jahr 1943, in dem SS-Offiziere zu uns in die Schule kamen. Ich hatte noch die Worte meines Vaters im Ohr, der mir eingebläut hatte: „Wenn du da unterschreibst, dann brauchst du nie mehr nach Hause kommen. Du sagst einfach „Nein“. Was immer die Folgen sind für dich und für uns.“ Das war natürlich ein unglaublich starkes Argument. Etwas Schlimmeres als Liebesentzug konnte ich mir gar nicht vorstellen.

Wie war das möglich, nicht zu unterschreiben?
Das frage ich mich heute noch.
Ich bin mit meinem Nachnamen als Letzter drangekommen. Der Offizier – er hatte nur noch einen Arm, - hat mir nur das Blatt hingelegt und gesagt: „Du unterschreibst.“ Und ich habe schlotternd vor Angst „Nein“ gesagt. Der Offizier sagte: „Hinaus, du Schwein!“ Und ich bin hinausgewankt. Mein Vater, der Antifaschist, hat mir vielleicht den Heldentod in Sibirien erspart.

Wie alt möchte Helmut Zilk, bald 80, werden?
Darüber mache ich mir keine Gedanken. Ich lebe ohnehin nur noch für meine Frau. Ich habe keine andere Aufgabe. Alles, was ich mache, mache ich in Wahrheit für sie. Alles, was ich versuche, versuche ich für sie. Alles tue ich ihr zuliebe. Sie ist jetzt mein Kompass. Ich möchte Dagmar nicht allein lassen.

Was soll auf Ihrem Grabstein einmal stehen?
Nur Zilk. Der Name reicht. Ohne jeden Titel. Denn es ist ja so: Professoren und Doktoren gibt’s hunderttausende, Direktoren und Regierungsräte und Hofräte gibt’s ein paar Zehntausend, aber Zilk gibt’s nur drei. Sohn Zilk, Enkel Zilk und mich.

27. Mai 2007, erschienen im KURIER